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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Körper des Sargmannes, dann aber kommt er zur Ruhe.
    »Es ist alles eine F-frage des W-willens«, sagt er. »Wenn du es wirklich willst und es einfach … ngh … einfach zulässt, sind die Dinger der reine W-w-wahnsinn. Als wenn dir jemand von innen den Rücken k-k-kratzt … ggdah. Aber trotzdem, zu viel des Guten ist auch nicht gesund, was?« Er beugt sich hinab und schlägt den Taser beiseite. An seinem Bein ist eine Verbrennung sichtbar: zwei schwarze Spuren auf verkohlter Haut.
    »Du hast meine Strümpfe versaut«, sagt der Sargmann und rammt seinen Daumen mit Wucht in Mr Ordinarys Auge. Joe hat das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
    »Wer bist du?« Doch er weiß es jetzt oder glaubt es zumindest.
    »Mein Name ist Parry«, sagt der Sargmann. »Du nennst mich besser Vaughn. Machen alle meine Freunde. Ich glaub, es ist besser, wenn wir Freunde sind, du und ich.«
    Fuck. Allerdings.
    »Ich verrat dir was«, sagt Vaughn Parry, »ich glaube, du warst für mich bestimmt. Ich glaube, das war ihre Absicht. Dieser andere Typ, Ted … den haben sie zu mir gebracht, um ihm Angst einzujagen. Der ist für dich, Vaughn, und diese ganze Scheiße. Hätten sie besser wissen sollen. Wollte nichts mit dem zu tun haben, also mussten sie es selber erledigen.
    Ich glaube, ich sollte auch bei dir die Endhaltestelle sein, bevor sie dich verbuddelt hätten. Dein Schicksal, so wie’s aussieht. Denk mal ’nen Moment drüber nach.« Parry dreht sich noch einmal um und schaut Mr Ordinary an. Der Mann wimmert. »Glaubst du ans Schicksal? Mir kommt’s so vor, als hätte’s was für sich. Wenn’s das Schicksal gibt, dann haben Entscheidungen überhaupt nichts zu bedeuten, oder? Also tu ich was Böses …« Er tut es, und es ertönt ein harter, flacher Schrei, der von einem Husten abgewürgt wird. Mr Ordinary übergibt sich. »Wenn ich was Böses tue, hab ich das nicht so gewählt. Oder besser: Es war immer klar, dass ich das wählen würde, nie hätte ich ich sein und mich anders entscheiden können, was aufs Selbe hinausläuft. Also bin ich vom Tag, an dem ich sterbe, den ganzen Weg zurück bis zu meiner Geburt ein Monster. Es ist alles eins, oder? Doch die Frage ist: Wer bin ich in alledem? Wenn ich keine Wahl treffen kann, beobachte ich dann bloß? Bin ich überhaupt da? Das ist das Schicksal.« Er zuckt mit den Schultern. »Am besten, du verpisst dich jetzt, junger Mann«, sagt er, ohne zurückzuschauen. »Ich habe einen Ruf zu verteidigen«, faucht er Mr Ordinary scharf an, als sei das alles seine Schuld. »Und ich habe vor, mich noch ein wenig zu steigern.«
    Joe zögert. Ein Teil von ihm verspürt den Drang, hierzubleiben und Mr Ordinary beizustehen. Mr Ordinary hat schreckliche Dinge getan und ist ohne Zweifel ein totales Arschloch, aber niemand hat verdient, was ihm gerade zustößt. Unter anderen Umständen würde Joe ihm fröhlich in die Weichteile treten und ihm, sagen wir, den Kiefer brechen. Dies würde ihm als Äußerung seiner Gefühle angemessen erscheinen. Doch Vaughn Parry ist, den Gerüchten und der Meinung von Billy Friend zufolge, kein menschliches Wesen. Er ist etwas völlig anderes, das sich in menschliche Haut und Schadenfreude kleidet. Es gibt jedoch eine Gemeinsamkeit menschlicher Erfahrung, so abgeschwächt sie auch sein mag, zwischen Joe und Mr Ordinary. Joe wünscht nicht, irgendetwas dergleichen in Bezug auf Vaughn Parry zu empfinden, der das Schreien in sich trägt und zum Vergnügen Ohren ausreißt.
    Und doch ist es so. Joe spürt eine erbitterte Verwandtschaft zu ihm, zu seinem Elan, zu seiner Vertrautheit mit dem Schrecken. Parry bewohnt diese Welt – diese neue Welt professioneller Folter und dunkler Geheimnisse, für die ein Mann umgebracht werden kann – und dies auf weit elegantere Weise als Joe, der Uhrmacher. Für ihn ergibt sie einen Sinn. Vaughn Parry gehört hierher und hat keine Angst. Dies ist etwas, das Joe in hohem Maß beneidet. Auf die eine oder andere Art ist er sein ganzes Leben über ängstlich gewesen – bis er vor einigen Stunden Klarheit gefunden und Mr Ordinarys Nase gebrochen hat.
    Jetzt hat er wieder Angst. Er hat schreckliche Angst vor Vaughn Parry. Das ist vernünftig. Parry ist das große Schreckgespenst dieser Tage, eine Todesmaschine der Vorstadt mit einer entsprechenden Vorliebe für das Entsetzliche – und hier steht er nun, in strahlendem Technicolor, mit dem Gesicht eines Mannes in seinen spitzen Fingern und mit Blut auf seinen Schuhen. Selbst wenn Joe ihm

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