Der goldene Schwarm - Roman
widersprechen wollte, er könnte es nicht. Parry würde ihn töten.
Oder auch nicht.
Joe lässt noch einmal seine Schultern kreisen und ist für einen Augenblick von der Vorstellung fasziniert. Er könnte losbrüllen und sich auf ihn stürzen. Er ist ein kräftiger Mann und Parry nicht. Er stellt fest, dass ihm egal ist, was nun noch passiert. Die Welt ist falsch. Genau genommen ist es Parrys Welt. Vaughn Parrys Existenz ergibt Sinn in einer Welt, in der Joe Spork Derartiges angetan werden kann. Der sanfte Uhrmacher – hier und jetzt: ein Mann, der den Lauf der Dinge nicht versteht. Ein gesetzestreuer Mann, das ist Joe. Er hat nie in Erwägung gezogen, dass das Gesetz über ihn hinweggehen könnte.
Er könnte brüllen und voranstürzen, und Dinge würden passieren. Entweder würde er Parry erledigen, und die Welt wäre erheblich besser dran, oder er würde sterben, und seine Probleme wären ein für alle Mal gelöst.
Vaughn Parry wirft ihm einen Blick zu und grinst.
»Du gehst nicht, was?«, sagt er und schüttelt den Kopf. »Was ist los mit dir, Junge? Was ist nötig, um dich hier rauszubringen?«
»Ich weiß nicht. Ich denke, dass du vielleicht vernünftiger bist als ich.«
Einen Moment lang bekommt Parry große Augen vor Überraschung. »Hey, das krieg ich nicht gerade oft zu hören. Aber ich würd sagen, du hast recht. Ich sollte den Burschen hier zufriedenlassen, bevor ich ihm noch ernsthaft wehtue und es bereue. Geh voran.«
Mit dieser unerwarteten Bemerkung schiebt er Joe aus dem Raum und lässt Mr Ordinary, vor Erleichterung und Elend schnaufend, auf dem Boden zurück.
Joe zögert und streckt dann Vaughn Parry seine Hand entgegen.
Nach einem ganz ähnlichen Zögern schüttelt Parry sie verlegen. Rasch bewegen sie sich zurück durch das Gebäude auf den Aufzug zu. Im Kino hält Joe inne, um einen Blick auf die Leinwand zu werfen. Der Mann am Draht läuft jetzt, bewegt sich, und sein Körper krampft sich eigentümlich zusammen, wie um eine alte Verletzung herum, hat aber zugleich eine vertraute unangenehme Geschmeidigkeit an sich. Joe verzieht das Gesicht.
Parry nickt. »Da produzieren sie sie«, sagt er und wendet sich zum Gehen. Joe bleibt zurück.
»Produzieren wen?«
»Sie. Die Mönche. Sie lassen dir so lange Strom durch den Kopf laufen, bis er leer ist, und dann machen sie aus dir einen der Ihren. Damit.« Er deutet in den Raum. »Mit mir haben sie’s auch probiert.«
»Was ist passiert?«
»Viele von denen haben einen Schaden genommen, der nicht mehr zu reparieren war, das ist passiert, scheiße noch mal. Danach kamen sie zu dem Schluss, dass ich mich fürs Mönch-Sein nicht eigne.« Parry grinst mit scharfen Augen und blutigen Zähnen, und Joe hofft inständig, dass er sich auf die eigene Zunge gebissen und nicht einen Teil von Mr Ordinarys Zunge verschlungen hat. »Können wir bitte aus diesem brennenden Irrenknast abhauen, verdammt?«
»Ja. Natürlich.«
Joe lässt Vaughn Parry zum Aufzug vorangehen.
Parry drückt auf den Knopf zum Keller. Jetzt, da er es weiß, kann Joe spüren, wie es nach oben geht. Hoch, hoch und auf und davon. Die Türen öffnen sich, und er erblickt echtes Tageslicht, grimmig, grau und sehr feucht. Englisches Wetter. Das Feuer hat dieses Stockwerk bislang noch nicht erreicht, aber der Alarm schrillt. Er hört ihm zu, neugierig, und betrachtet den Ausgang. Beim Übertreten der Schwelle wird vielleicht wieder Schmerz ausgelöst werden. Vielleicht wartet der gesamte Orden von John, dem Werker, auf ihn. Vielleicht zielt gerade ein Scharfschütze auf ihn oder ein ganzes Polizeibataillon. Vielleicht sind die Bienen nach Hause gekommen und alle Menschen verrückt geworden. Vielleicht hat Polly Cradle den Brief doch selbst geschrieben.
Er geht trotzdem voran.
XIV
Die geheime Geschichte des Vaughn Parry;
Das Monte;
Richtung Heimat
E r heißt Dalton«, murmelt Parry nachdenklich auf dem schäbigen Rücksitz des Nachtbusses. Nachdem er ihre Fahrkarten mit Mr Ordinarys Bargeld bezahlt hat, untersucht er nun dessen Kreditkarten. »Oh. Führerschein. Privatadresse. Ich frage mich, ob er verheiratet ist.« Und dann, als er Joes Blick bemerkt: »Hey, um Himmels willen, nein! Ich meinte nur, falls nicht, könnten wir bei ihm einbrechen, uns ein paar Sachen zum Anziehen besorgen, seinen Kühlschrank leer machen. Kein Grund zu …« Er seufzt beleidigt. Joe starrt aus dem Fenster auf die graugrüne Landschaft aus Beton.
Sie sind sich beide nicht ganz sicher, wohin der Bus
Weitere Kostenlose Bücher