Der goldene Schwarm - Roman
wahrscheinlich, und ich hab die Spuren vertuscht.
Dann haben sie spitzgekriegt, dass ich was gemerkt hatte, klar? Eines Tages komme ich mit meinem Arbeitskoffer an, und da ist die Leiche, aber der Typ ist frisch. Noch warm. Hab mir fast in die Hosen geschissen, und dann hab ich die Sirenen gehört. Bis sie durch die Tür reingekommen sind, ist mir nicht klar gewesen, was los ist. Sie hatten mir ’ne Falle gestellt, um mir die Schuld an dem ganzen Haufen in die Schuhe zu schieben. An fünfzig oder sechzig armen Schweinen … und dann war da ja noch das Hinterzimmer, nicht?«
Das Hinterzimmer ist berüchtigt. Parry hatte sich, den kursierenden Geschichten zufolge, gesteigert. Serienkiller tun dies offenbar. Nicht zufrieden mit nur einem Ausdruck ihres Wahnsinns, entwickeln sie immer ausgefallenere, schrecklichere Rituale und Vorlieben, bis man ihnen Einhalt gebietet.
Im Hinterzimmer befand sich die Familie des neuesten Opfers. Was dort passiert war, hatte einen der ermittelnden Polizeibeamten dazu gebracht, eine Überdosis zu nehmen. Zwei weitere quittierten den Dienst.
»Sie sagten, das hätte alles ich getan«, berichtet Parry ausdruckslos. »Die Mutter, das Kind. Alles ich. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr weinen kann«, fügt er hinzu, »aber ich habe über ein Jahr abgesessen. Zuerst im Polizeiknast, dann in irgendeinem Krankenhaus und dann da. Die ganze Zeit über bin ich Vaughn, der Killer, gewesen. Ich habe jetzt falsche Zähne, nachdem sie sie mir eingetreten haben. Jetzt bin ich jemand, der ich nie gewesen bin. Das passiert, oder? Wer wir sind, geht verloren. Wir werden jemand anders.« Er schaudert.
»Was ist mit dir?«, fragt Vaughn Parry schließlich. »Soweit ich gehört habe, hassen sie dich sogar noch mehr als mich.«
Joe seufzt und gibt dann eine stark gekürzte Version der Ereignisse der letzten Zeit zum Besten. Er will Parry nicht in seinem Leben haben, selbst wenn sein Geständnis wahr sein sollte. Der Mann, der sich dazu entschlossen hatte, Mr Ordinary eine Kostprobe seiner eigenen Medizin zu verabreichen, ist niemand, mit dem er Vertraulichkeiten austauschen möchte.
»Mechanische Bienen«, murmelt Vaughn Parry. »Und du sagst, das ist ’ne große Sache?«
»Gigantisch, denke ich. Wie ein Weltkrieg, würde ich sagen.«
»Verdammte Scheiße.«
Die Beschaffenheit der Straße ändert sich, und das Jammern der Reifen auf dem Asphalt weicht einem tiefen Grummeln.
»Ob’s was wert ist, weiß ich nicht«, fährt Parry fort, »aber ich muss dir noch was sagen. Ich nehm an, das schulde ich dir oder dem verdammten Dalton. Und wenn es so wichtig ist …«
»Was ist es?«
»Dein Freund Ted … hat mir etwas gebeichtet, das ist das einzig passende Wort. Weil ich einmal ein Bestatter war. Ich hab ihm nicht gesagt, dass ich nicht wirklich zur Zunft zugelassen wurde. Schien zu dem Zeitpunkt keine große Rolle mehr zu spielen. Jedenfalls nicht für ihn.« Auf Parrys Gesicht flackert etwas auf, das wie Entsetzen aussieht. »Er war übel zugerichtet. Sie haben sich an ihm abreagiert, und dann haben sie ihm erzählt, wer ich bin, und ihn zu mir gebracht. Sie wollten, dass er Angst vor dem Ungeheuer Vaughn hat, weißt du, aber er war über den Punkt hinaus, wo’s ihm was ausgemacht hätte. Etwas in seiner Brust war gebrochen. Man konnte hören, wie es sich hin und her bewegt hat … er wollte Absolution.« Parry seufzt. »Von mir. Von allen Menschen auf Gottes Erde wollte er ausgerechnet Absolution von dem Mann, der angeblich der schlimmste Bastard aller Zeiten sein soll. Und ich konnte sie ihm nicht geben, weil es schon so lange her ist, dass mich jemand mit irgendwas anderem als Hass in den Augen angeschaut hat. Mir haben die Worte gefehlt. Ich hab ihn bloß angestarrt, und er hat sich die ganze Sache von der Seele geredet, und dann ist er gestorben.«
Vaughn Parry schaudert. »Du hast also dieses Ding, was die haben wollen?«, fragt er plötzlich. »Ich meine, das ist nicht alles bloß so ein verschissener Witz, oder? Keine komplette Zeitverschwendung?«
»Ja«, sagt Joe abwesend. »Ich bin da drin draufgekommen.«
»Sholt meinte das auch. Es war so eine Art Offenbarung für ihn. Als wenn ihm ein Engel erschienen wär, sagte er. Aber es war …« Er hält inne. »Ich sülze hier rum wie ein Idiot.«
»Nein, ist schon okay.«
»Ich hab so lange nicht geredet.«
Nein. Das hört man. Aber Parrys Lispeln ist schon weniger deutlich zu hören.
»Schon okay«, versichert ihm Joe. »Was hast du
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