Der goldene Schwarm - Roman
Bremse, und der Bus ruckt nach vorn. Joe packt Vaughn Parry an der Schulter und rammt seinen Kopf mit Wucht gegen die Haltestange aus Chromstahl. Parrys Gesicht läuft durch den Schock und den Schmerz rot an und offenbart für einen winzigen Augenblick bodenlose, entsetzliche Wut. Dann ruckelt der Bus erneut, und Joe wiederholt das Manöver, woraufhin Parry in sich zusammensinkt. Joe schiebt ihn gegen die Fensterscheibe und eilt nach vorn.
»Es tut mir sehr leid«, sagt er. »Aber ich bin im falschen Bus.«
Der Fahrer seufzt. »Sonst noch jemand?«, fragt er. Die übrigen Passagiere schütteln den Kopf und starren mit feindseligem Vorwurfsblick den Idioten Joe an, während der Fahrer ihn hinauslässt.
Er beobachtet, wie sich die roten Rücklichter in der Dunkelheit auflösen und rennt zur Telefonzelle, um Mercer anzurufen.
Joe erwartet einen großen schwarzen Wagen mit getönten Scheiben, vielleicht auch mehrere Wagen. Er gestattet sich die Überlegung, ob sie einen Hubschrauber schicken werden. Er ist sich ziemlich sicher, dass Leute in dunklen Anzügen auftauchen werden, die schweigsam sind und mit allen Wassern der schwarzen Magie gewaschen.
Stattdessen schickt Mercer vier Krankenwagen, zwei Feuerwehrautos, eine Demo gegen den Klimawandel, einen schottischen Wanderzirkus und eine Fuchsjagd. Die verschiedenen Ablenkungsmanöver kommen getrennt voneinander an, sind aber makellos koordiniert: Gerade verbirgt sich Joe Spork noch in den Schatten eines Vorgartens und glaubt, seine Verfolger in jedem Wispern des Windes zu hören. Schon im nächsten Moment aber wird das gesamte Viertel von Blaulicht erhellt und von Martinshörnern beschallt, und achtundsiebzig Beagle sowie ein Haufen aufgewühlter Weltverbesserer teilen sich die Straße mit Darla, der bärtigen Highlanderin.
Mitten durch dieses alles zum Erliegen bringende Chaos bahnt sich ein unauffälliger grüner VW-Kleinbus den Weg. Er schlüpft anmutig zwischen einem Jagdhornbläser und zwei Stadtfüchsen hindurch, die offensichtlich die Aussicht bewundern, und am Steuer sitzt Mercer selbst. Die Seitentür wird aufgeschoben.
»Steig ein«, sagt Polly Cradle sanft, und Joes Herz macht einen Sprung. Dann erstarrt er unversehens: Neben ihr sitzt Edie Banister, inklusive übel riechendem Boxer und riesigem Revolver.
»Na komm schon, Joe«, sagt Polly. »Es wird Zeit.« Sie wirft Edie über die Schulter einen Blick zu, streckt ihm dann ihre Hand entgegen. »Steig ein. Wir erklären es dir unterwegs.«
Im Zickzackkurs durch kleine Gassen und Vororte rund um London lassen sie den Zirkus hinter sich.
Joe Spork wirft einen Blick auf den Rücksitz. Das Leder – es könnte auch Kunstleder sein – ist um die Kopfstütze herum aufgerissen, sodass der Schaumstoff darunter zum Vorschein kommt. Etwas in ihm möchte ihn mit seinen Fingern erkunden, etwas Echtes, Einfaches und Festes außerhalb von Happy Acres berühren und feststellen, dass es nicht nur ein Traum ist. Dass er nicht noch immer sterbend auf dem OP-Tisch liegt. Die Welt ist seltsam ruhig und farblos, als wäre er in einen Schwarz-Weiß-Film hineingeschlittert oder in eine Unterwasser-Dokumentation. Er vermutet, dass es sich um Symptome eines Schocks handelt oder um posttraumatischen Stress, aber es kümmert ihn nicht besonders.
Er hebt den Blick und schaut sich um. Polly Cradle ist wie ein Lagerfeuer, das wärmt und tröstet. Sie bemerkt, wie er sich umsieht, und lächelt, legt ihm die Hand auf sein Bein, wo sofort ein Fleckchen Wärme entsteht. Er blickt in die andere Richtung und sieht Edie Banister.
Sie erwidert seinen Blick und wartet. Und so bringen sie einige Kilometer hinter sich: Polly, Joe, Edie. Und Mercer, weit weg, auf dem Vordersitz.
»Haben Sie mir das angetan?«, fragt Joe.
Edie seufzt. »Ja. Nun, ja und nein. Ich habe Sie ins Kreuzfeuer gestellt.« Nach einem kurzen Kampf mit sich selbst zwingt die Ehrlichkeit sie, hinzuzufügen: »Ich hielt es für notwendig, und mir ist erst später klar geworden, dass ich mich nur rächen wollte. Es tut mir leid.«
Er schaut sie noch eine Weile an und fragt sich, warum er ihr nicht den Kopf von den Schultern reißt und ihn aus dem Fenster wirft. Vorsichtig wohlgemerkt, um keinen Unfall zu verursachen. Er fragt sich, ob es ihr wirklich leidtut und ob das irgendwie helfen würde. Dann sagt er: »Sich rächen?«
»An Ihrer Großmutter, nicht an Ihnen.«
Immer geht es irgendwie um seine verdammte Familie. »Wie geht es Harriet?«, fragt er mit
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