Der goldene Schwarm - Roman
Die Biene aus gewobenem Gold, die Joe in Whistithiel von Ted Sholt erhalten hat, kriecht aus Pollys Handtasche und fliegt langsam durch den Raum, als sei sie in Trauer. Nach einer Weile lässt sie sich auf einem Plastikregal nieder.
»Es tut mir leid«, sagt Mercer etwas zu aufgekratzt und taucht mit einem Paar Hosen und einem Hemd wieder auf. »Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand, aber wir konnten dich einfach nicht finden. Wir haben alles probiert, Joe. Wirklich. Ehrenwort.« Er nickt vor sich hin. »Wie auch immer. Was du jetzt brauchst, ist ein Weg aus dem Land heraus, einen Ort, wo du hinkannst, und all das verdammt schnell. So viel können wir zumindest tun. Du wirst außerdem für die Reise eine falsche Identität benötigen, und dann eine weitere, unter der du lebst, und schließlich noch eine für Notfälle, vielleicht auch zwei. Auf jeden Fall musst du verschwinden.«
Joe zuckt mit den Schultern. Mercer zögert erst, sagt dann: »Man sucht sehr entschlossen nach dir. Sehr. Verstehst du?«
Joe stellt fest, dass er nicht überrascht ist. »Was hab ich denn gemacht? Hab ich das Parlament in die Luft gejagt?« Er ist nicht verbittert. Er hat seit jeher das Gefühl gehabt, dass es keinen Sinn hat, Dinge persönlich zu nehmen. Es ist bloß gefühllose Neugierde. Es kann für ihn nicht mehr tiefer bergab gehen.
»Nein«, sagt Mercer leise. Er schiebt eine Boulevardzeitung über den Tisch. Auf der Titelseite geht es um die Bienen. Eine Karte zeigt ihre Route über den Erdball, wobei die von ihnen ausgelösten Konflikte als kleine Feuer markiert wurden. Mercer seufzt und schlägt die Zeitung auf. Auf den Seiten vier und fünf – direkt nach Belinda aus Carlisle, die nichts trägt außer einem Paar Jeans-Hotpants – entdeckt er: SPORK: ES LIEGT IHM IM BLUT ! Und: WIE DER VATER, SO DER SOHN . Grelle Tatortfotos von Orten, die Joe noch nie zuvor gesehen hat, voller Leichen. Alte Bilder und neue. Eine Chronik der Gewalt.
»Das kann nicht stimmen!«
»Es tut mir leid, Joe, aber es ist so. Das Hausboot ist weg. Die Watsons … es muss der Tag gewesen sein, nachdem du dir das Beiboot geliehen hattest. Es gab nichts, was du hättest tun können. Es ist nicht deine Schuld.«
Joe fühlt trotzdem, wie sich das Gewicht auf seinen Schultern niederlässt. »Was ist passiert?«
»Jemand hat ein Feuer gelegt. Abbie ist gerade noch rechtzeitig aufgewacht, sie hat die Kinder rausgebracht, ihnen geht’s gut. Griff liegt im Krankenhaus und kämpft ums Überleben. Er hat versucht, ihre Habseligkeiten zu retten. Die Polizei sagt, du hättest es getan. Abbie hat sie dazu aufgerufen, eine vollständige Ermittlung aufzunehmen, und der kleine Scheißkerl Patchkind hat ihr erzählt, dass sie sich nicht wundern muss, wenn sie Kontakt zu Terroristen pflegt .«
»Terroristen? Was soll denn das heißen, verdammt?«
»Damit bist du gemeint, Joe. Tut mir leid.«
»Ich bin jetzt ein Terrorist?«
»Du bist ein Verdächtiger in einer Terrorismusermittlung. Ja.«
»Aber ich habe doch nichts verbrochen!«
Es ist ein Schrei der Agonie, der von irgendwo in seinen Eingeweiden aufsteigt, und auf dem letzten Wort klettert seine Stimme in die Höhe und bricht in etwas Animalisches, etwas Getretenes und Fassungsloses aus.
»Die wollen dich fertigmachen, Joe«, sagt Polly Cradle mit monotoner Stimme in die darauffolgende Stille. »Das ist die Sprache, in der sie sich an dich wenden. Die Botschaft lautet: Mach, was wir dir sagen. Sag uns, was wir wissen wollen, selbst wenn du es nicht weißt. Sie lautet: Verarsch uns nicht, Kleiner, sonst geht’s dir wie David Kelly. Oder dem armen Idioten, den sie beim G20-Protest dafür totgeprügelt haben, dass er mit den Händen in der Tasche rumgelaufen ist. Hier schlägt das System mit all seiner Macht zu. Die Botschaft lautet: Das passiert, wenn du dich nicht benimmst.« Ihr Blick ist kalt und glanzlos, und tief flackert etwas in ihren Augen.
Mercer atmet ein und fährt fort. »Im Verlauf deiner terroristischen Aktivitäten sind dir verschiedene Personen auf die Schliche gekommen, die nun vermisst werden oder tot sind.«
»Wer?«
»Billy zuerst einmal. Dann Joyce.«
»Na, sie wird denen schon sagen, dass das nicht stimmt. Und sie ist nicht tot, also ist das lächerlich.« Aber Mercer und Polly schauen ihn an, und ihm wird klar, dass er etwas Fundamentales noch immer nicht verstanden hat.
Mercer fährt gnadenlos fort. »Ein Mädchen namens Therese Chandler aus Whistithiel in Cornwall
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