Der goldene Schwarm - Roman
schmaleren Gummiband und einem Stück Papier zusammengehalten werden, auf dem das einzelne Wort »Josh« steht. Joe Spork stellt fest, dass er die Fotos lesen kann, als wären es Postkarten:
Onkel Tam und Mathew, die sehr würdevoll aussehen und sich, im Stil der Männer des Nachtmarkts, über einem Geschäft die Hände schütteln und dabei das Handgelenk des anderen umfassen. Dein Onkel hat etwas für dich .
Mercer – ja: und auch Polly – auf den Stufen von Cradles. Dies sind die Menschen, denen du vertrauen kannst.
Und Joe selbst, in einer Schafswolljacke auf Mathews Knien, die Fäuste wie ein Boxer zum Himmel gereckt, während Mathews Gesicht ausnahmsweise offen und fröhlich aussieht – die Hände des Revolverhelden auf den schmalen Schultern des Sohns. Dies ist beinahe zu einfach, zu ursprünglich, um es in Worte zu fassen. Selbst Ich liebe dich wird dem Bild nicht gerecht.
Er kann Mathews Atem auf seinem Haar spüren. Sein Vater hat von Zeit zu Zeit schlicht an ihm geschnuppert, einfach, ehrlich – ein Säugetierakt.
»Irland, Joe«, sagt Mercer.
Joe wirft ihm mit aufrichtiger Verblüffung einen Blick zu. »Oh, ich werde nicht davonlaufen.«
»Was? Natürlich wirst du das.«
»Nein.«
»Joe, dagegen kommst du nicht an. Es ist zu groß.«
»Er will die Welt vernichten, Mercer. Und mich hat er bereits vernichtet. Der alte Joe ist erledigt. Mein Geschäft kann ich doch jetzt sowieso vergessen, oder? Selbst wenn die Bank keine Zwangsvollstreckung anordnet, was sehr unwahrscheinlich ist.«
»Es wird Gras darüber wachsen. Irgendjemand wird ihn ganz gewiss aufhalten. Es gibt Leute, die so etwas tun.«
»Das Nachlassamt. Rodney Titwhistle. Ja. Der hat alles gut im Griff, ist ja offensichtlich.«
»Herrgott, Joe! Du bist Uhrmacher. Das hast du selbst so gewollt. Und einem Uhrmacher habe ich versucht zu helfen!«
»Der Uhrmacher sagt Danke schön. Aus vollem Herzen. Aber ihn gibt’s nicht mehr, Mercer. Es gibt nur noch mich.« Er wirft Polly einen Blick zu.
»Erklär du’s ihm!«, fordert Mercer, aber Polly lächelt Joe an und klatscht mit leuchtenden Augen ganz langsam in die Hände.
»Ach, Herrgott«, ruft Mercer aus. »Ihr nehmt das nicht ernst!«
»Doch«, sagt Joe. »Als ich an diesem Ort war, habe ich irgendwann begonnen, es zu verstehen. Ich weiß nicht, wann genau. Vielleicht nach dem ersten Monat.«
Mercer zögert. »Joe, du warst keinen Monat da drin. Es war nicht einmal eine volle Woche. Ich weiß, es muss dir länger vorgekommen sein, aber du bist nach fünf Tagen geflohen.«
Joe schüttelt den Kopf, und sein Lächeln ist merkwürdig verzückt.
»Nein, Mercer«, sagt er sanft. »Es hat sich nur für dich so angefühlt, weil du draußen warst.«
Es entsteht eine schauerliche Stille. Mercer setzt zum Widerspruch an, will ihn korrigieren, doch dann begreift er die auf den Kopf gestellte Wahrheit dieser Worte und sackt in sich zusammen.
»Es tut mir so leid, Joe«, murmelt er. »Es tut mir so leid, dass ich nicht helfen konnte. Es tut mir leid. Ich habe mein Bestes getan, und es war … es war nicht einmal annähernd genug.«
»Du warst großartig«, versichert Joe ihm sanft. »Sie haben versucht, mir einzureden, du hättest aufgegeben. Ihr beide.«
Sie zucken empört zusammen, und er lächelt. »So ist es jetzt eben. Mein ganzes Leben über habe ich mir selbst eingeschärft, ruhig zu bleiben, vernünftig zu sein, seriös. Mich einzufügen. Aber trotzdem stehe ich jetzt hier, weil sich nämlich die anderen nicht an die Regeln gehalten haben. Sie haben sie einfach geändert, und so konnte ich als ehrlicher Mann das Spiel gar nicht gewinnen. Doch der springende Punkt ist, dass ich sowieso nie gut darin gewesen bin, ehrlich zu sein. Ich habe dafür so viel von mir selbst beiseiteschieben müssen. Aber wenn ich jetzt ein Gauner sein muss … bin ich dafür begabt. Ich kann ein erstaunlicher Gauner sein. Ich kann der grandioseste Gauner aller Zeiten sein. Ich kann dieser Gauner sein und trotzdem das Richtige tun. Ich bin überhaupt nicht irre, ich bin frei .«
Polly Cradle neigt den Kopf und überlegt.
»Was wäre denn das Richtige?«, fragt sie.
Bastion knurrt leise.
Joe zeigt auf die Zeitung.
»Sie sind hinter mir her. Sie bringen Leute um, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie …« – er sieht sich um, stellt fest, dass sein Blick auf Polly haften bleibt, und schaut weg – »… einen von euch erwischen. Ich laufe nicht mehr davon. Es ist an der Zeit, ihnen eine Lektion
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