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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Zerstörung: Aufzeichnungen verschwinden, Schulden werden erlassen, Gefälligkeiten in Anspruch genommen. Geld strömt Richtung Kaimaninseln, Belize, zum Kanton Thun und auf die Bahamas. Das Haus Cradle flüchtet auf vorberechneten Routen. Die Firma wird im Ausland neu geboren. Großbritannien ist verbrannte Erde.
    »Mercer«, sagt Joe Spork, »es tut mir leid.«
    »Los, beeil dich!«
    »Ja«, sagt eine andere Stimme, »das wäre besser.«
    Shem Shem Tsien steht mitten im Rauch. Er hat seine Pistole verloren, aber er hat noch immer einen Degen und wird von zweien der übrig gebliebenen Ruskiniten flankiert.
    Joe knurrt, spürt wieder die Hitze in seiner Brust, den Drang, etwas mit seinen bloßen Fingern auseinanderzureißen, aber dann tritt Bob Foalbury an ihm vorbei und drückt mit geradezu komisch anmutender Präzision einen Knopf auf der Tapete.
    Ein riesiger eiserner Vorhang fährt klirrend zwischen ihnen herunter, dann ein weiterer, und Wasser strömt von der Decke. Irgendwo beginnt eine Alarmglocke zu schrillen, die wie eine altmodische Luftangriffssirene klingt. Hinter dem Vorhang ertönt ein Heulen ausgebremster Wut.
    »Nimm das, du mörderisches Schwein«, sagt Bob Foalbury mit Nachdruck. Und dann zu Joe: »Feuer- und Einbruchssicherung, Gebrüder Baptiste, Marseille, circa 1920.« Er wirbelt mit Schwung herum und schlägt gegen das Metallgitter. »In mein Haus wollt ihr eindringen? Meine Frau bedrohen? Mich einen alten Mann nennen? Na, euch hab ich’s gezeigt, oder? Mein Name ist Bob Foalbury. Mit einem F, ihr Scheißkerle! «
    Cecily legt ihre Hand auf seinen Arm, und er drückt sie an sich, erleichtert, ängstlich und müde.
    »Keine Zeit«, sagt Mercer.
    Joe folgt den Cradles zurück auf die Straße. Seine Erschöpfung fühlt sich an wie ein großer, dunkler See, auf dem er treibt und in dem er bald schon ertrinken wird. Und doch: Als er auf den Rücksitz des Autos steigt und dankbar ist für ein paar Minuten, eine Stunde, oder wie lange es auch dauern mag, bis sie den nächsten Halt erreichen, hört er, wie ein Teil seiner selbst – laut oder nicht, er weiß es nicht – eine Frage stellt.
    Warum bin ich immer derjenige, der davonläuft?
    Im Halbdunkel der Dämmerung sieht das Haus in Sunbury für Joe aus wie ein riesiges, ausgespucktes, mit Speichel überzogenes Pfefferminzbonbon. Ihm wird schlecht bei dem Anblick. Aber es ist anonym, worum es am Ende ja geht. Ein sicheres Haus: Von einem verblüfften Immobilienmakler aus dessen Bestand an Ladenhütern erworben und in bar bezahlt. Jetzt sofort, hier ist das Geld, keine Diskussionen, keine Besucher. Ist das klar? Oh ja, Sir, und haben Sie vielen Dank.
    Joe stellt fest, dass sich seine Wut verflüchtigt hat und ihm dabei zugleich alle Hoffnung abhandengekommen ist. Er glaubt nicht ernsthaft, es könne irgendwo einen sicheren Ort geben.
    Er wird sich für immer auf der Flucht befinden. Oder, was wahrscheinlicher ist: Er wird sterben.
    Das riesige Pfefferminzbonbon hat einen kleinen Türklopfer in Form eines Tierkopfes. Es soll vermutlich ein Löwe sein, aber es sieht eher wie ein Schaf aus. Mercer fummelt mit dem Schlüssel herum und lässt die kleine Flüchtlingsgruppe herein.
    »Bei Harticles war’s schöner«, sagt Mercer schlecht gelaunt. Polly nickt.
    »Ja, das stimmt«, sagt sie. »Aber damit müssen wir nun vorliebnehmen.«
    Sie wendet sich Joe zu, mustert ihn von oben bis unten. Behutsam nimmt sie seinen Arm. Es ist schön, wenn jemand, dem man am Herzen liegt, behutsam ist. Es bedeutet, dass man ihm wichtig ist. Er ist wieder müde, so müde, dass er sich fragt, ob er jemals wird genug schlafen können. Er fragt sich, ob er von Elektroschocks träumen wird. Ob er Polly wach halten wird. Ob sie immer noch mit ihm ihr Bett wird teilen wollen, wenn er im Schlaf weint.
    Mercer schlüpft an ihnen vorbei die Treppe hinauf. »Ich habe frische Sachen dabei. Du solltest dich duschen. Ich möchte nicht unhöflich sein, Joe, aber du riechst so schlimm, dass du Aufmerksamkeit auf dich ziehen wirst, und das willst du ja nicht.«
    Die Geschichte meines Lebens. Mach keinen Aufstand. Du willst doch nicht bemerkt werden. Bezahle pünktlich, arbeite ordentlich, spiel nach den Regeln. Benimm dich nicht daneben. Tu, was man dir sagt, und alles wird gut.
    Nur dass ich mich brav daran gehalten habe und nichts gut geworden ist.
    Bastion schlottert, der Kummer macht Wackelpudding aus seinen Beinen, und er wimmert ganz leise. Joe nimmt ihn auf den Arm und wiegt ihn.

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