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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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– nein, es ist ein Stück viktorianischen Eisenrohrs, noch besser – und brüllt zu ihm herüber: »Hol Cecily! Bring sie raus!«
    Bob sagt: »Aye aye«, was Joe beinahe trotz allem lächeln lässt, und ist auch schon unterwegs. Joe wendet sich dem nächsten Gegner zu, verpasst ihm eins mit voller Wucht und wirbelt ihn herum, stößt dann mit dem Ellbogen zu. Darauf lässt er das Rohr folgen und hört das Knallen von Metall auf Metall.
    Er erinnert sich an seine Epiphanie im weißen Raum. Das Überleben beruht schlicht auf dem vollständigen Fehlen von Gewissensbissen. Asiatische Kampfsportler erreichen dies durch Wiederholung: Die Entscheidung zu verletzen wird im Vorfeld getroffen, die Bewegung geprobt. Der normale Mensch zögert, um zu beurteilen, was notwendig ist. Humanität erfordert die Berechnung: Wie weit soll man gehen, wie weit soll man es eskalieren lassen? Joe Spork eskaliert nicht, vielmehr bricht etwas aus ihm heraus: eine eruptive Wut über die Ungerechtigkeiten der Welt, über die Kälte seiner Mutter und die Leichtfertigkeit seines Vaters, die Wut darüber, dass Frankie Daniel verlassen hat, und über Daniels schwächliche Reaktion. Joe muss sich nicht zurückhalten. Er kämpft gegen Maschinen und Monster, und, davon abgesehen, kämpft er auch gar nicht wirklich. Er repariert etwas, das kaputtgegangen ist. Die Welt, in der Shem Shem Tsien lebt, ist schadhaft, als hätten ihre Zahnräder Rost angesetzt. Er hat nicht die geringsten Gewissensbisse.
    Sie schlagen ihn. Sie schlagen ziemlich hart zu. Er weiß, dass es passiert, doch der Schmerz ist nichts weiter als eine der erwarteten Unannehmlichkeiten. In dem vorwärtsdrängenden Schwung seiner alles versengenden Rage liegt eine gewisse Magie: Jeder, der ihn verletzen will, muss in seine Reichweite vordringen. Vom Boden aus packt er einen Mann, der sich über ihn beugt, an den Schultern und hebt ihn hoch. Der Mann schreit, fällt zurück, und Joe kommt mit der Bewegung wieder auf die Füße, dreht die Position um; jetzt hat er den Angreifer unter seinen Füßen. Shem Shem Tsien zieht mit seinem Degen einen Strich über Joes Arm. Er spürt erst Eiseskälte und dann, wie ihm das Blut ungehindert den Arm hinabrinnt. Er schreit auf. Der Opium-Khan grinst, tritt wieder vor, und die Klinge berührt herausfordernd Joes Schulter. Joe brüllt und versucht, auf ihn loszugehen, erwischt aber nur seinen Ärmel, als Shem Shem Tsien leichtfüßig an ihm vorbeitänzelt. Die Pistole befindet sich in Shems anderer Hand, aber er macht keinerlei Anstalten, sie zu benutzen. Er schneidet Joes Verteidigungslinie ab und flüstert ihm ins Ohr, fast wie ein Liebhaber. Joe nimmt Schwefel an ihm wahr und begreift, dass er den Schuss riecht, der Edie getötet hat. Höllenfeuer, in der Tat. Der Atem des Opium-Khans ist minzig, seine Finger fest wie ein Schraubstock.
    »Sie erfreuen mich, Mr Spork. Nicht in meinen wildesten Träumen hätte ich mir vorgestellt, das Privileg zu haben, Frankie Fossoyeurs Enkelsohn persönlich zu töten. Das ist zu freundlich von Ihnen.« Die Pistole kommt unter Joes Ohr zur Ruhe.
    Und dann werden sie beide von einem Sturmwind durch den Raum gewirbelt. Glasvitrinen zerspringen, und ein Schneesturm aus Dokumenten fegt durch die Luft, als Edie Banisters letztes Stück explosiver Tupperware verspätet hochgeht und die Luft mit Rauch und Feuer füllt.
    Joe dreht sich wieder und wieder um die eigene Achse, vermutet, dass Shem Shem Tsien dasselbe tut, findet dann eine Wand, tastet sich an ihr entlang und sucht … er weiß nicht, was. Er schwankt, geht in dem Wissen in Deckung, dass er diesmal nicht siegen wird. Was ist nötig, um ihn zu schlagen? Wie, wie, wie? Joe knirscht mit den Zähnen. Er wird es herausfinden. Oh ja.
    Polly Cradle taucht zusammen mit Bastion direkt vor ihm auf, und er braucht eine Sekunde, um zu begreifen, dass sie real ist: ein Engel in ausgeblichenen Jeans, der ihm den Weg hinaus weist. Im Korridor steht Mercer.
    »Los«, ruft Mercer rau. Dann brüllt er in etwas hinein, das weniger wie ein Handy und eher wie ein Satelliten-Headset aussieht: »Bethany! Hier ist Mercer Cradle. Das Codewort lautet: Passendale . Wir machen den Laden dicht, verstehen Sie? Wir sind aufgeflogen – es könnte sein, dass Sie sich in unmittelbarer Gefahr befinden. Verbrennen Sie die Akten, lassen Sie die Jalousien runter, und schließen Sie ab. Ich wiederhole: Passendale .«
    Den Laden dichtmachen. Noblewhite Cradles letzter Atemzug im Angesicht totaler

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