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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ein, dass es eine Seele gäbe, einen ganz spezifischen Teil, den ich nicht besitze? Aber bedenken Sie: Wenn es so sein sollte, dann hat sich dieser Teil in dem Augenblick verflüchtigt, als mein Körper gestorben ist. Doch mein Geist besteht fort. Was bedeuten würde, dass ich der erste Mensch bin, der nicht eine Seele besitzt, sondern zwei.«
    Der Angriff erfolgt, als er das letzte Wort ausspricht, doch seine Stimme bleibt völlig gleich. Er schwingt den Degen herum, die Klinge blitzt auf, und währenddessen schießt seine andere Hand in Polly Cradles Richtung, drückt den Abzug, und er stößt ein wildes Geheul des Triumphes und der Entzückung aus.
    Doch Polly Cradle ist nicht mehr dort. Joe hat sie zur Seite gezogen, hat sich schon vor Shem Shem Tsien bewegt, kannte er doch instinktiv den Ausgang der Rede des Opium-Khans. Weil Arschlöcher sich genau so verhalten.
    Es beginnt in seiner Brust mit einer herzanfallartigen Enge und breitet sich dann in alle Richtungen aus wie ein elektrischer Schlag. Als es seine Fingerspitzen und Zehen erreicht, durchfährt ihn ein Ruck, und seine Augen öffnen sich weit. Er kann jetzt ganz klar sehen. Das seltsame Schwarz-Weiß hat sich verflüchtigt und scharfen, leuchtenden Farben Platz gemacht. Er ist sich ganz sicher, von innen zu glühen wie ein Halloween-Kürbis. Der Ruck erreicht seinen Bauch, und es erfüllt ihn ein eigenartiger Augenblick der Ruhe, bevor er dem, was passiert, ein Wort zuordnen kann, und als es dann so weit ist, kommt ihm dieses Wort ganz unangemessen schwach vor.
    Rage.
    Es ist nicht wie ein roter Nebel oder ein Gewitter, es ist, als würde sich ein Gewicht von seinen Schultern heben und die Welt in helles Licht getaucht.
    Oh, ich verstehe. So ist das also.
    Dann fick du dich auch.
    Ein Mann, der in weißen Zellen foltert; der hasst und nicht die Schönheit dessen zu schätzen weiß, was er zerstört; ein Mann, der sich wieder und wieder nimmt, was ihm nicht gehört, der wie nebenbei die schrullige, alte, wunderschöne Edie Banister mitsamt all ihren wunderbaren Erinnerungen auslöscht: Zum ersten Mal in Joes Leben hat er jemanden vor sich, den er so hart schlagen kann, wie es ihm möglich ist, ohne Angst haben zu müssen, zu weit zu gehen. Er kann Polly Cradle und ihren Bruder hören, wie sie etwas wie Lauf! rufen, was aber auch Nein! heißen könnte, doch zumindest in Pollys Stimme kann er die Rohheit erkennen, die auch in ihm ist, und die Zustimmung ihrer Seele, selbst wenn ihr Kopf zur Vorsicht drängt.
    Joe spürt, wie sich sein Gesicht zu einer hasserfüllten Maske verzieht, und stürmt direkt auf Shem Shem Tsien zu. Er hört ein wutschnaubendes Trillern, das in seiner Brust mitklingt, und sieht den Hund, Bastion, und greift sich den unwahrscheinlichen Verbündeten. Das Knurren des Hundes wird zu einem Lied des Krieges.
    Na komm, Horologe. Der alte, tote Mann erzürnt mich. Kümmern wir uns um ihn.
    Ruskiniten kommen näher, schwarze Stoffpuppen mit zugreifenden Händen und leeren Kapuzen. Halloween-Gespenster. Menschen oder Maschinen? Joe schleudert Bastion dem Ersten entgegen, und schon beißt sich der Hund in der Kutte fest und macht sich ans Werk, tut irgendetwas Erschreckendes, das schmerzhafte Wunden schlägt, was Joe an den Schreien erkennen kann. Er hatte keine Ahnung, dass Ruskiniten schreien können – bis jetzt: Schmerz funktioniert .
    Joe wirft sich gegen den zweiten Mönch und hebt ihn gewaltsam vom Boden. Der Opium-Khan schießt, und der Ruskinit fängt die Kugeln ab: eine, zwei, drei. Sechs. Haben Pistolen nicht sechs Kugeln? Diese hat mehr. Eine automatische kann vierzehn abfeuern, erinnert sich Joe schwach, aber das scheint ohnehin keine Rolle zu spielen; die Entfernung ist kurz. Er schleudert den Ruskiniten direkt auf Shem Shem Tsien zu und spürt, wie weitere von ihnen nach seinen Armen greifen. Aber sie sind so leicht, so ungeschickt. Einen der schwarzen Schatten beißt er mit aller Gewalt, greift sich einen anderen mit den Händen und dreht dessen Arm in die falsche Richtung, hört etwas ausrasten und brechen. HAH !
    Jemand steht neben ihm, eine beleibte grauhaarige Gestalt mit einem Brecheisen: Bob Foalbury, früherer Unteroffizier zur See in Verteidigung seiner Frau. »Scheißdreck!«, brüllt Bob. »Scheißdreck, Scheißdreck, Scheißdreck!« Und bei jedem Ausruf schlägt er mit seinem Brecheisen zu – wobei er einiges ausrichtet. Doch er wird langsamer, die alten Muskeln lassen ihn im Stich. Joe schnappt sich das Brecheisen

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