Der goldene Schwarm - Roman
wurde heute Morgen tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Offenbar hast du sie in einem Pub getroffen.«
»Therese? Tess? Sie ist tot?«
»Ja, Joe. Joyce auch.«
»Joyce war ja nicht einmal mehr mit Billy zusammen!«
»Ich weiß. Aber darum geht es auch nicht.«
»Sie haben sie umgebracht, um mich fertigzumachen?«
»Vielleicht auch, weil sie dachten, sie könnte etwas wissen, wie unerheblich es auch sein mochte. Ja. Und jetzt, da ich den Feind persönlich kennengelernt habe, könnte ich mir auch vorstellen: einfach aus Spaß an der Sache, nicht wahr? Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich Billy selbst vorgeknöpft hat. Das scheint genau sein Stil zu sein.«
Ja. Das stimmt. Aber es kommt Joe trotzdem ganz unmöglich vor, selbst jetzt, da ihm der Geruch von Edies Tod noch in der Nase hängt: Blut und Pistolenrauch. »Das ist alles nicht richtig. Es ist gegen das Gesetz. Das alles.«
Das scheint Mercer wütend zu machen, denn er schreit ihn beinahe an. »Ja, Joe! Es ist gegen das Gesetz! Das ist es immer! Und doch passiert es. Oder dachtest du, die machen das nur mit Taxifahrern aus Karachi? Sie tun es, wenn ihnen danach ist, wenn es zweckdienlich erscheint, wenn es die Situation verlangt. Und niemanden kümmert es, weil es niemals einem selbst passiert!« Polly legt beruhigend eine Hand auf den Arm ihres Bruders. »Tut mir leid.«
In der Zeitung sind Fotos von Tess und Joyce, als sie noch am Leben waren. Beschreibungen ihrer Ermordung. Beschreibungen, die so entsetzlich glaubwürdig sind, dass man sich wohl fragen muss, ob er es nicht doch getan hat – es sei denn, man kennt ihn wirklich gut.
Beinahe jeder, auf den das zutrifft, ist jetzt hier.
Joe Spork blickt die toten Gesichter an und die Schlagzeile.
Die ganze Nation ist jetzt gegen ihn.
Er starrt ins nichts und wartet darauf, dass ihm das Herz bricht oder sein Geist kapituliert. Er wartet auf den Einschlag dieser entsetzlichen, unfassbaren Lüge, die sein ganzes Ich zerschlagen und zusammenbrechen lassen wird. Er schaut auf und sieht, wie Polly ihn beobachtet, und Mercer auch, und begreift, dass auch sie warten. Tut mir leid , denkt er. Ich bin am Ende. Mir ist nichts mehr geblieben . Er wartet darauf, dass sein Mund sinnlose Laute ausstößt, dass sich sein Körper zu einem Ball zusammenrollt und hier einfach liegen bleibt, bis sie kommen, um ihn abzuholen.
Stattdessen passiert etwas ganz anderes, das ihn völlig unvorbereitet trifft. Er kommt an seinen eigenen Grenzen an und stößt dort auf festen Boden und eine massive Wand, an die er seinen Rücken lehnen kann.
Irgendwann zwischen dem Moment, in dem das Herz seines Vaters zum letzten Mal schlug, und dem Moment, als Mathews silberbeschlagener Sarg in die Erde gelassen wurde, begrub Joe Spork einen Teil seines Ichs, der wusste, wie man Geld heranschafft, wie man betrügt und raubt, und akzeptierte, dass er ein Leben der Belanglosigkeit und Routine führen würde. Er lernte von Daniel, weil er sich wünschte, die Uhr zu einer Zeit zurückdrehen zu können, in der Mathew nicht nur noch am Leben war, sondern auch noch kein Krimineller. Er versuchte der Mann zu werden, der sein Vater unter anderen Umständen vielleicht gewesen wäre.
Er starrt sein eigenes Spiegelbild im doppelt verglasten Fenster an und versucht, sich an den Mann zu erinnern, der er hätte sein können. Kronprinz des Verbrechens. Schlimmer, als sein Dad je gewesen ist, und das ist, bei Gott, die volle Wahrheit. Ein verrückter Bastard ist er. Hat vor gar nichts Angst.
Diese Person hat niemals existiert, und doch ist sie immer eine Möglichkeit gewesen. Sie ist nie ganz verschwunden. Nun endlich ist der Moment gekommen, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Und doch kommt Joe die Reise zu diesem Ort in seinem Ich sehr weit vor, wie ein langer, steiler Kampf, bergauf gegen Jahre aufgetürmter Hindernisse und selbst gebauter Zäune.
Er beginnt mit dem Mann, der er jetzt ist: Joe Spork, der seinen Freund nicht ermordet hat, dem man aber nicht nur dies anlastet, sondern noch weit abscheulichere Dinge, aus Gründen, für die er nichts kann; der sein Bett mit Polly Cradle teilt und vorhat, dieser Tatsache eine Bedeutung zu geben.
Er rollt mit den Schultern, strafft seinen Kiefer und macht weiter.
Er ist der Mann, der von Monstern verschleppt und gefoltert wurde und nicht tot ist.
Er ist der Mann, der weiß, dass Unschuld kein Schutzschild ist, und dass Wegducken nicht bedeutet, in Sicherheit zu sein.
Er ist der Mann, der im Namen der
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