Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Boxring verstecken müsste … Und tatsächlich erkennt er einen lang gezogenen, flachen Hügel, der sich zu ebenmäßig und zu unvermittelt in der Landschaft erhebt, um natürlichen Ursprungs zu sein, jedoch zu groß ist, um sofort als künstlich erkannt zu werden. Und ja, in der Tat verläuft eine Kurve der früheren Bahnstrecke zu diesem Hügel, ein verdächtiger Streifen hohen Grases, unter dem sich, da hat er keinen Zweifel, noch ein kurzes Stück Schiene offenbaren wird. Er zeigt darauf. Polly nickt, aber als er sich direkt auf die Erhebung zubewegen will, schüttelt sie den Kopf.
    »Hier drüben«, raunt sie leise und zieht ihn zu den zerfallenen Überresten einer Hütte hinüber. Auf einem Schild steht »Offiziers-WC: nur für höhere Ränge«. Im Inneren holt sie eine Taschenlampe aus ihrer Tasche, in der sich zu seinem nicht geringen Erstaunen auch Edie Banisters Hund befindet, und beleuchtet eine Luke auf dem Boden, die in einen unterirdischen Gang hinunterführt. Sie grinst, und Joe nickt beeindruckt.
    Langsam hangeln sie sich in die Tiefe hinab.
    Der Gang riecht nach modrigem Beton und Feuchtigkeit. An seinem Ende befindet sich eine sehr dicke und gewichtige Tür. Hermetisch abgeriegelt, wie Joe vermutet. Mit den richtigen Hilfsmitteln könnte er sie in die Luft jagen – aber wo sollte er die jetzt herbekommen? Die Beschaffung der nötigen Gangsterausstattung steht als Nächstes auf der Tagesordnung, und zwar unter Dringend .
    Aber diese Tür muss er nicht aufsprengen, und das ist auch ganz gut so, wenn man bedenkt, was dahinter sein könnte. Das Kombinationsschloss ist alt und eigentlich ganz hübsch, glänzende Messingräder, in die römische Zahlen eingraviert wurden. Von Hand, wie er glaubt. Öffne die Tür mit Lizzies Geburtstag , hatte Sholt gesagt, und ja, tatsächlich: Mit XXI-IV-XXVI funktioniert es: die Ankunft Ihrer Majestät Elizabeth II, der Königin von England, auf dieser Erde.
    Als Joe die Tür öffnet, spürt er von innen einen Luftzug. Hinter ihr liegt eine weitere Tür, die als eine Art Staubfänger dient, und an der Wand hängt eine Reihe aufziehbarer Laternen. Eine nimmt er herunter und dreht einige Male an der Kurbel. Dann tritt er durch die innere Tür.
    Der Raum dahinter ist vergleichsweise eng – es handelt sich eher um eine Art Tunnel –, aber gewaltig in seinen Dimensionen. Er neigt sich sanft ins Erdreich hinab; und dort vor ihm befindet sich, was er gesucht hat. Endlos verlaufende Muster kräuseln sich über Stromlinien. Der Kessel der Lok ist höher als Joe und so lang wie ein Bus. Die Abteile verlieren sich in der Entfernung – sind es zehn? Zwölf? Jedes ist in seiner Konstruktion ebenso vollkommen wie das vorherige, und alle unterscheiden sich auf subtile Weise voneinander. Der Name ist vorn in den Schienenräumer aus schwarzem Eisen graviert: Lovelace .
    Das Material der Verkleidung sieht nach Metall aus, aber es könnte auch etwas anderes sein – Harz, Keramik … Joe fährt mit der Hand darüber. Die Oberfläche ist kühl und etwas feucht, da eine Schutzschicht aus Öl aufgetragen wurde. Er riecht Kohle und einen behaglichen Lagerraumduft nach Leder und Holz. Als er den Lichtstrahl der Laterne auf und ab bewegt, erkennt er langsam die Ausmaße des ganzen Gebildes. Züge sind ihm vertraut: ratternde Drohnen, die vorbeirauschen oder durch die Landschaft tuckern; Passagierzüge mit Fenstern, durch die man gestresste Eltern oder Pendler sehen kann, die wie Gepäckstücke aneinandergedrängt sind. Gute Züge sind heutzutage eine Seltenheit. Man muss auf Regionalstrecken und Nebengleisen nach ihnen Ausschau halten oder in Polly Cradles Schlafzimmer liegen und spüren, wie sie vorbeirattern. Er wirft Polly einen Blick zu. Sie tritt hinter ihn und lässt einen Finger über die Haut des Lovelace gleiten. Er kann eine zarte Spur aus Staub und Flusen erkennen, die sich bildet, wo sie den Waggon berührt. Sie lächelt, als hätte er ihr Diamanten geschenkt.
    Die nächste Tür trägt das Gänsefuß-Symbol. Bastion fängt plötzlich in seiner Tasche an zu bellen und streckt sich dem Zeichen entgegen. Polly zuckt mit den Schultern.
    »Dann ist es wohl diese«, sagt sie.
    Es ertönt ein schwaches Zischen, als sie die Tür entriegeln, und das Flüstern eines anspringenden Ventilationssystems. Zumindest hofft Joe, dass es sich um ein Ventilationssystem handelt und nicht etwa um einen tödlichen Gasangriff. Er schnuppert und kommt sich dabei wie ein Idiot vor. Da er aber nicht

Weitere Kostenlose Bücher