Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
hinaufschaut, stellt er fest, dass er sich darüber überhaupt keine Sorgen macht. Das, was er in den kommenden vierundzwanzig Stunden tun wird – angreifen, kämpfen, leben oder sterben –, ist das Richtige. Das Beste, was er tun kann.
    Einen Augenblick später hört er Schritte und spürt die Wärme von Polly Cradle, die sich neben ihn legt. Bald schon müssen sie aufstehen und das Tagewerk der Gangster verrichten. Aber diese gestohlenen Momente gehören nur ihnen.

XVIII
    Lovelace;
Keine Regeln mehr;
Showdown
    A chtzehn Stunden später brodelt und grummelt der Ada Lovelace in seiner Höhle unter dem Hügel. Bogenlampen brennen, und Schatten zucken über die Wände. Joe Sporks Schultern sind mit Ruß und Schmutz bedeckt, und sein Haar ist verfilzt. Dann und wann tunkt er seinen Kopf komplett in ein Fass und lässt sich von dem an ihm herunterrinnenden Wasser kühlen. Es ist zu heiß hier drin, zu verraucht, zu erstickend, zu metallisch. Es ist perfekt.
    Die Ruskiniten – Ted Sholts Ruskiniten – haben klare Instruktionen dafür hinterlassen, wie der Lovelace aufzuwecken ist. Joe folgt Schritt für Schritt einer handgeschriebenen Anleitung, die vor ihm aufgeschlagen auf einem Bottich liegt. Er hat die Antriebsvorrichtung geöffnet, die Gänge gesäubert, geölt und ausgetauscht. Er kann das Schmieröl auf seiner Haut riechen.
    Er arbeitet, und in den Zwangspausen, wenn etwas abkühlen oder sich setzen muss, nimmt er sich Frankies Liste zur Hand, ihren Aus-Schalter, und liest sie wieder und wieder. Seine Hände vollführen bereits alle Drück- und Drehbewegungen in der Luft. Mit geschlossenen Augen kann er die Umrisse des Anschauungsapparates spüren, kennt Frankies raffinierte Klemmen und Haken, die Route durch die Kabel und Spulen, die von der Außenwand des Bienenkorbs ins Innere führen. Er lernt alles auswendig und lässt sich von Polly Cradle abfragen. Für jede richtige Antwort erntet er einen Kuss. Für jede falsche einen abschätzigen Blick.
    Weiter und weiter hämmert Joe auf rot-weißem Metall herum, verbiegt und flacht ab, ersetzt einen Kontrollhebel auf dem Boden des Führerstands. Es darf keine Schwachstellen geben, heute nicht.
    Die Technik nennt sich Mokume-gane. Unversehens muss er laut auflachen, und das Echo hallt durch die Höhle. Natürlich. Wenn man so etwas mit Gold und Eisen tun würde und das Resultat in Salpetersäure tauchte, würde sich das Eisen auflösen. Ein wahrhaft sublimer Metallarbeiter – ein Genie – würde das Metall in blattdünnen Schichten falten, ein derartig feines Origami, dass sich das daraus entstandene Netz aus Gold biegen ließe wie Stoff und den Anschein erwecken würde, es sei gewoben.
    Er schreckt die Stahlstange ab, passt sie an – den Anweisungen der Bedienungsanleitung folgend – und lässt sie dann an ihrem Einsatzort abkühlen. Es ertönt ein kurzer, hoher Klang wie ein Glockenschlag, als sie sich in den Mechanismus einfügt. Er zögert.
    »Versuch’s.«
    Wieder heult der Lovelace , und die Lokomotive – für den Moment abgekuppelt von ihrer massiven Ladung – verschiebt sich leicht auf den Schienen.
    Die ganze Nacht und den größten Teil des Tages hat er nun schon so gearbeitet und ist nicht müde. Es ist, als hätten sich zwanzig Jahre Schlaf und Sicherheit in ihm gespeichert, um sich bei Bedarf zu entladen. Der Lovelace ist bereit.
    Polly Cradle legt ihre Arme um seinen Hals und zieht ihn in den Führerstand. Auf dem Boden der Lok haben sie Sex, ihre Haut beschmiert mit Öl und Dreck.
    »Agl æ c-Wif« , murmelt er anschließend, und sie ist sich nicht sicher, ob er sie meint oder den Zug. Zusammen warten sie auf den Beginn: die Nacht, in der keine Regeln mehr gelten.
    Es ist unter Polizisten wie unter Kriminellen gleichermaßen bekannt, dass eine Gesellschaft nur kontrolliert werden kann, wenn sie damit einverstanden ist. Wenn die Regierung oder das Gesetz die Menschen zu sehr unterdrücken, oder wenn der normale Ablauf des Lebens durch eine Katastrophe unterbrochen wird, Mangel und Hunger sich ausbreiten, kann es schlichtweg niemals genug Polizisten geben, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Wenn jemand also ein Verbrechen begehen will, das zwangsläufig jeden Polizisten im Umkreis von zwanzig Meilen auf den Plan ruft, sollte er am besten auf einen Vulkanausbruch oder einen Volksaufstand warten, damit die pflichtschuldigen Beamten anderes im Kopf haben.
    Wären Kriminelle andererseits gut genug organisiert, um hundert schwere Straftaten

Weitere Kostenlose Bücher