Der goldene Schwarm - Roman
sieh zu, dass du dich vom Acker machst und in einem weit entfernten Land einen ordentlichen Job annimmst. Alles klar? Und jetzt mach, dass du dich verpisst!«
»Wer sind die?«
»Der verschissene Mann am Draht, das sind sie«, faucht Fisher.
Joe starrt vor sich hin. »Wer?«
»Weißt du nicht mehr? Ich hab dir davon erzählt, als du noch ein kleiner Knirps warst. Deine Mutter war so wütend auf mich, dass sie fast ausgeflippt wäre.«
Tatsächlich erinnert er sich nun; es hatte ihm wochenlang Albträume beschert. Eine Londoner Gespenstergeschichte, flüsternd vorgetragen von den Kindern des Nachtmarkts.
Stell dir einen Mann vor, so ging die Geschichte, in einem Bett mit seidenen Laken. Und überall um ihn herum Kabel und Kameras und Männer, die sich Notizen machen. Sie stellen ein Verzeichnis über ihn auf: seine Atemzüge, seine Worte, seinen Puls, seine Ernährung, seinen Geruch, die chemischen Abläufe seines Körpers – selbst die Ströme der Elektrizität in seiner Haut. Während er schwächer wird – denn er ist sehr alt inzwischen und verwundet und krank –, schieben sie Metalldrähte durch Löcher in seinem Schädel und in das Gewebe des Gehirns und zeichnen die flüchtigen Gedankenblitze auf, die im grauen Inneren seines Kopfes von einer Falte zur nächsten zucken.
Und bei alledem ist er bei Bewusstsein. Ist er ein Gefangener? Ein Millionär? Verspürt er Schmerzen oder Schrecken angesichts seiner eigenen Zwangslage? Hat er auch nur die geringste Vorstellung, warum all das passiert? Es ist so bizarr. Und doch findet dies irgendwo tatsächlich statt. Vielleicht werden sie jemand anderen brauchen, wenn er tot ist. Vielleicht werden sie dich brauchen.
Nachdem er zum ersten Mal davon gehört hatte, ließ Joe neun Nächte lang das Licht brennen, und wenn er dann endlich einschlief, sah er nur noch die Augen des Mannes, der ihn von seinem verkabelten Gefängnis aus anglotzte. Vielleicht werden sie dich brauchen.
Fisher nickt ruckartig, noch immer wütend und ängstlich. »Genau, die Gruppe von Sheamus ist das Original. Ihnen geht’s nur um Maschinen, und sie sitzen da und sehen sich Aufzeichnungen des Typen an, der ihre Organisation gegründet hat. Das ist ihr Ersatz für eine Kirche. Angebetete Relikte eines jeden Gedankens, den er je gehabt hat oder so was. Ich weiß es nicht, ich frag nicht nach, denn ich will nicht in einem scheiß Einweckglas enden! Es ist alles sehr Geliebter Führer , aber so oder so, es macht sie beängstigend wie Typhus, oder? Sie haben großen Einfluss.«
»Seit wann?«
»Schon immer. Dein Dad hat sich mal vor Ewigkeiten mit ihnen angelegt. Er hat alle zusammengetrommelt und sie vor die Tür gesetzt. Aber selbst damals stand es auf Messers Schneide.«
»Daran erinnere ich mich nicht.«
»Tja, da warst du noch klein. Ich war selbst noch ein Knirps, aber du weißt ja …« Fisher lässt es klingen, als wenn Mathew ihn als Joes älteren Bruder betrachtet hätte, die Stütze, die er niemals hatte.
»Und jetzt?«
»Jetzt sieht es anders aus, oder? Es gibt niemanden mehr wie Mathew, nur sehr viel mehr Bullen.«
»Also sind sie jetzt vorsichtiger.«
Fisher zuckt mit den Achseln. »Auf jeden Fall fragen sie nicht höflich nach, wenn sie was wollen, und schon gar nicht zweimal. Eiskalt sind die, wie Ärzte, aber die Sorte, die dir Eis in die Badewanne füllt und deine Nieren verkauft. Sie haben irgendwo ein Krankenhaus oder ein Hospiz. Es ist eine verdammte Schlangengrube. Die Leute gehen da rein und kommen nie wieder raus.«
»Wer sind die? Woher kommen sie?«
»Soweit ich weiß, sind es Gottes eigene Gangster, direkt aus der Heiligen Stadt. Ich hab mal einen getroffen, in einer Wohnung, die ich mieten wollte. Hat mir gesagt, ich solle mich verpissen. Und weißt du, was er sonst noch gesagt hat? Er hat gesagt: Wenn ich den Geist Napoleons habe und den Körper von Wellington, wer bin ich dann? Verrückt wie eine verschissene Kiste voll Frösche.«
»Fisher …«
»Schon gut! Schon gut. Ne halbe Minute geb ich dir Ratschläge. Und dann gehst du. Okay?«
»Okay.«
»Gut. Soweit ich weiß, haben sie früher mal Gutes getan. Ich meine, es sind ja schließlich Mönche, okay? Alles für die seelische Erbauung, ein Hoch auf die Frömmigkeit. Aber irgendwann wurde die Welt etwas weniger zugänglich für den Trost der Mutterkirche, und sie wurden ein bisschen komisch. Die alte Führung haben sie geschasst, und der Neue am Ruder ist irgend so ein redegewandter Bastard mit seinem
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