Der goldene Schwarm - Roman
Werk. Er schließt die Tür und hängt das »Bitte klingeln«-Schild ins Fenster.
Der Erotomat (er wirft ihm einen schuldbewussten Blick zu – das gesunde Obst und die Milch, die er für den ungesunden Kuchen stehen lässt) sollte nicht allzu schwer zu reparieren sein. Er kann bis morgen warten. Joe betrachtet die Figuren in ihrer Ausgangsposition – die ordentlichste ménage à trois , von der er je gehört hat. Er kennt einige Leute, die mit der Polyamorie experimentieren, hat als Außenstehender ihre seltsamen Dreiecksbeziehungen und sexuellen Wohngemeinschaften beobachtet und ist zu dem Schluss gekommen, dass es in den meisten Fällen mehr um Poly als um Amorie geht, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen. Es ist nicht so, dass es nicht funktionieren könnte, aber es scheint ihm schon schwer genug, eine einzige Person zu finden, mit der man seine Tage verbringen kann.
Das große Lagerhaus ist heute sehr leer, und das Schwappen der Themse klingt kummervoll. Er macht sich Tee, wobei er den fehlenden Fuß seines Kessels provisorisch gegen eine dreimal geknickte rosafarbene Mahnung der Gasfirma ersetzt. Er ist sich ziemlich sicher, die Rechnung bezahlt zu haben. Wird das morgen prüfen.
An der Arbeitsbank und mit dem Tee in der Hand (der bewährte Auftakt zu einer schwierigen Aufgabe, die Ermahnung zur Geduld immer im Hinterkopf, damit man nicht hetzt und im frühen Arbeitsstadium einen unwiderruflichen Fehler macht), grübelt er über die Einzelteile nach, die vor ihm liegen. Na schön, das ist einfach: erst einmal alles fotografieren und festhalten. Kein Problem, in diesen digitalen Zeiten. Joshua Joseph hegt keinen sonderlichen Hass gegenüber moderner Technologie – er misstraut lediglich den mühelosen, texturlosen Oberflächen und der Selbstverständlichkeit, mit der diese einen dazu bringen, alles so zu tun, wie es für die Maschine am bequemsten ist. Vor allem aber misstraut er dem Duplizieren. Eine Rarität wird zu einem Allerweltsding. Aus einer persönlichen Fähigkeit wird ein Leistungsmerkmal. Das Kind der Seele räumt das Feld für ein Produkt des Systems.
Im Kontrast dazu steht hier die Arbeitsbank seines Großvaters mit den Werkzeugen, die sich Daniel Spork eigens angefertigt hat. Sie ist von der Zeit glatt poliert worden, ohne Lack, aber sehr geschmeidig, und links findet sich ein kleiner Abdruck vom Ellbogen des alten Mannes. Rechts füttern ein Schraubstock und ein Gummischlauch einen uralten Bunsenbrenner. Ergrauende Narben von der Hitze, blasse von den Werkzeugen. Das Gran des Holzes ist silbrig, und in seinen Kerben findet sich die DNS des Hauses Spork, die von Daniel, verbunden mit der seines Enkelsohnes – Blut, das in einem Moment der Unaufmerksamkeit vergossen wurde, Tränen, die in Zeiten des Kummers geflossen sind und von denen jeder Tropfen die Blaupause von Daniels Körper und dem von Joe enthielt. Sogar Mathew taucht hier auf, vermutlich weil auch Papa Spork diese Bank nicht fremd gewesen ist – nur dass sie unter seinen Händen zur Waffenschmiede wurde, dass hier geschmolzenes Blei tropfte und scharf riechendes Pulver: eine Alchemistenhöhle.
Für alles, was ihm wichtig ist, bevorzugt Joe Gegenstände mit Geschichte, ein Stück, das die Hand nennen kann, die es zusammengesetzt hat, und sich derjenigen wärmt, die es verwendet. Etwas Lebendiges und nicht eines der vielen Konsumgüter, die die Menschen nur dazu verleiten, noch mehr Schrott anzuhäufen; eigentümliche parasitäre Geräte mit ihren eigenen kleinen Ökosystemen. Zu Referenzzwecken und zum Archivieren jedoch ist er froh, die kleine Canon mit ihrer Zeiss-Linse zu besitzen.
Also. Drei Aufnahmen von jeder Seite, von Nahem und aus der Entfernung. Jedes Fragment wird dokumentiert. Er spürt Grandpa Sporks abschätzenden Blick in seinem Rücken: Daniel Spork, tot seit mehr als sieben Jahren, mit geweiteten Augen in Erwartung eines Rätsels – noch besser, eines Rätsels, das er mit seinem geliebten Schüler teilen kann, dem Spross seines Tunichtgut-Sohnes.
Joe lächelt vor sich hin, ein wenig traurig, in Anerkennung des geliebten, reizbaren Toten. Er schaut nicht über die Schulter, will den leeren Raum nicht sehen. Stattdessen murmelt er seine Frage vor sich hin und lässt sich von seinen Gedanken Daniels Antwort geben.
»Was nun, alter Mann?«
Benutz deine Augen, Junge. Was schaust du dir da an?
»Es ist ein Dingsbums.«
Joseph, nein. Nein, nein und nochmals nein. Erstens: Du willst mir doch nicht sagen, dass du
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