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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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überraschend dunkel hier, im Übergang zwischen dem einen Wagen und dem anderen, und das schummrige Oberlicht lässt ihn uralt und zerfurcht aussehen, mit tiefen schwarzen Ringen unter den Augen und Falten, die wie Narben von seinen Mundwinkeln ausgehen. Er fuchtelt mit der Hand auf und ab, um sich selbst in Gang zu bringen.
    »Es gibt die alten Familien, Joseph, okay? Im Bestattungsgewerbe, meine ich. Da sind die Ascots, die seit King James dabei sind, und die Godrics seit der normannischen Eroberung und noch länger. Meine Leute haben losgelegt, als Victoria noch jung war. Die Alleyns glauben, dass sie seit Cäsar mit von der Partie sind, und wahrscheinlich stimmt das sogar. Und jede Familie hat ihre eigene dämliche Methode fürs Einbalsamieren und Schminken und Aufbahren, Berufsgeheimnisse und so weiter. Kompletter Blödsinn: Es läuft alles auf dasselbe raus. Aber zur Dienstleistung gehört es auch, zu zeigen, dass es vielleicht noch nicht zu spät ist für etwas Freundlichkeit, für etwas Herz, selbst wenn du dich nie auch nur einen Deut um die Toten geschert hast, während sie noch am Leben waren, denn, machen wir uns nichts vor, unter den Toten ist der Anteil der Arschlöcher genauso hoch wie unter den Lebenden. Leuchtet ja ein, aber man wird nicht viele Begräbnisse erleben, die mit den Worten beginnen: Er war eine totale Nervensäge und nur halb so clever, wie er selbst gedacht hat. Also lasst ihn uns unter die Erde bringen, uns ein Glas genehmigen und ab dafür! Ich selbst finde ja seit jeher, das hätte einen gewissen Charme.
    Um also der Bruderschaft beizutreten und in der Bestatterzunft ein eigenes Gewerbe zu eröffnen, braucht man das, was wir unsere spezielle Vertrautheit nennen. Man muss ein bisschen was vom Tod gesehen haben, vielleicht als Krankenschwester, als Soldat oder als Arzt. Es kommt eigentlich alles infrage, aber ohne ist es einfach nicht möglich. Es geht ja nicht, dass dein Bestattungsunternehmer blass wird, wenn er die teuren Verstorbenen erblickt, oder?
    Und wenn du dich im Gewerbe hocharbeiten musst, dann gibt es irgendwann einen Test, wie ein abschließendes Examen, bevor sie dich als ordentlichen Bestatter anerkennen.
    Nun, jeder Test ist anders, ganz auf die jeweilige Person abgestimmt. Sie kündigen ihn dir nicht an, sie ziehen ihn einfach durch, obwohl man natürlich, wenn es einmal angefangen hat, schon merkt, dass es so weit ist. Mich sperrten sie in einen Raum mit einer ganzen Ladung voller Leichen und sagten, ich solle sie über Nacht aufbahren, und natürlich hatten die heimtückischen Mistkerle einige Leute vom Bau engagiert und zurechtgemacht. Als ich also mit dem Ersten halb fertig war (er war der einzige echte Tote, mit ’nem riesigen Loch im Bauch von einem Autounfall), fängt Nummer zwei an zu zucken und zu stöhnen, und dann stehen sie alle auf, und entstellt wie sonst was laufen sie in der Gegend herum und machen ›Wuuuuu‹ und so weiter. Für etwa fünf Sekunden hätte ich mir beinahe in die Hosen geschissen, aber am Ende hab ich einfach mit der Arbeit an dem toten Typen weitergemacht, denn der musste nun mal aufgebahrt werden, und verflucht sollte ich sein, wenn ich das versaut hätte. Hat mich zwei Stunden gekostet, bis ich durch war, ohne auch nur ein Wort zu sagen oder mich umzuschauen, selbst als die schauerlichen Typen sich alle um mich herumdrängten und mir ihre blutigen Wunden und ihren Schorf und so weiter unter die Nase hielten. Sie hatten natürlich mit der Schminke gute Arbeit geleistet, denn das gehört ja schließlich auch zur Branche. Ich war nun zu neunundneunzig Prozent sicher, dass sie nicht echt waren, aber verdammt will ich sein, wenn dieses verbleibende eine Prozent mich nicht halb in den Wahnsinn getrieben hätte, als es auf Mitternacht zuging. Kein Witz, Joseph, es war hart.
    Also hab ich ihn fertiggemacht, und dann hab ich meine Säge hervorgeholt, mich an den erstbesten heulenden Geist gewandt und zu ihm gesagt: ›Alles klar, mein armer toter Kumpel, ich muss dich jetzt aufsägen, und ich hab auch vor, das zu tun, du kannst also ebenso gut gleich hier auf den Tisch hüpfen und deinen trauernden Verwandten eine hässliche Schweinerei ersparen!‹ Hah! Da hat der sich fast in die Hosen gemacht, und in dem Moment kommen die Bestatter rein und geben mir ihren Segen. Sagten, ich hätte die Ruhe gezeigt, weißt du, was natürlich stimmte, und es war mir gar nicht bewusst gewesen.
    Die Familie Parry ist erst etwas später ins Geschäft

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