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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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würde, mit ihm eine Tasse Tee zu trinken und zu wissen, dass irgendjemand irgendwo diese Kunst beherrscht und dafür sorgen wird, dass sie nie verloren geht.« Er zog kurz die Nase hoch.
    »Ich habe Sie traurig gemacht.«
    »Nein, Madame. Mehr als glücklich gemacht haben Sie mich. Ich kann den Mechanismus für Sie reparieren, aber das Armband werde ich nicht anrühren. Ich wüsste nicht, wo ich beginnen sollte. Kommen Sie wieder zu mir, wenn ich alt bin. Vielleicht werde ich es gelernt haben.«
    Gewobenes Gold. Und das ist noch nicht einmal das Bemerkenswerteste an dem Dingsbums. Joe hat das, was im Inneren verborgen ist, zum ersten Mal vor zwanzig Minuten erblickt. Er hat keine Ahnung, wozu es dient.
    Zuerst einmal ist da die Sache mit dem Schloss. Genau genommen handelt es sich um fünf Schlösser, jedes von ihnen ist winzig und wird von einer anderen Sektion des Stabs gedreht, wobei jedes das nächste aufsperrt, bis die letzte Umdrehung einen Verschluss betätigt und sich das gesamte Stück öffnet. Diese Schlösser sind in einer eigentümlichen käfigartigen Architektur um das Innere des Balls verteilt, die Joe entfernt an das Vogelhaus im Londoner Zoo erinnert. Getrennt voneinander schnellen sie zurück wie die Flügel eines grandiosen Käfers und legen sich lose um das Uhrwerkherz des Balles. Dies allein genügt schon, um Joes gespannteste Aufmerksamkeit zu erregen. Es ist gute Arbeit, eine bescheidene Einschätzung, die aber unter Handwerkern viel bedeutet, wenn sie sich untereinander austauschen: Nicht schlecht, dein Taj Mahal, mein Sohn. Bisschen kahl an den Rändern vielleicht . Woraufhin der Meisterbildner bloß erwidert: Ach ja, es ist ganz gut geworden. Findest du das Wasserbecken nicht etwas aufdringlich? Ich wünschte, ich hätte die Zeit gehabt, das andere Mausoleum in Schwarz zu bauen, das wäre etwas gewesen … doch schämen muss man sich für die ganze Sache nicht, würde ich sagen. Man kann ja nicht alles hinbekommen.
    Diese Art von guter Arbeit.
    Seltene Arbeit.
    Brillante Arbeit.
    Mit weißen Handschuhen und einer Weichholzpinzette (besser die Pinzette bricht, als dass dieses Stück einen Kratzer davonträgt) untersucht er es erneut, entfaltet den Schlossmechanismus – nicht ohne das leicht schmutzige Gefühl zu verspüren, eine schlafende Prinzessin zu entblättern – und untersucht durch seine dicke Juwelierlupe den inneren Mechanismus.
    Das größte Zahnrad ist vermutlich gut sechs Millimeter im Schnitt. Das kleinste ist derartig winzig, dass Joe sich nicht vorstellen kann, wie es angefertigt werden konnte. Dabei weiß er es im Grunde ganz genau: Jemand hat ein spezielles Werkzeug entwickelt, das die Bewegungen eines Werkzeugs von normaler Größe in viel kleinerem Maßstab nachahmt. Man schreibt seinen Namen ganz normal auf, und direkt daneben wird er derartig klein auf die Platte eingraviert, dass er auf ein Reiskorn passen würde. Auf ein halbes Reiskorn. Und dann – dies ist der Teil, der seinem Kopf zu schaffen macht – wurde jedes individuelle Teilchen, jede Sprungfeder, jedes Zahnrad, jeder Zähler von Hand angefertigt und zusammengefügt. Es ist eine sich kräuselnde, sich verschiebende Landschaft von Stiften, Ketten, Arretierungen.
    Die Entwicklung dieses Apparates, die Planung ohne einen Computer oder Fotokopierer, muss allein schon ein Jahr in Anspruch genommen haben. Wenn ein normales Uhrwerk ein Mensch wäre, dann wäre dieses eine große Stadt. Es ist in sich gefaltet, wobei jede Sektion verschiedene Aufgaben erfüllt, sich erst um die eine, dann um eine andere, dann um noch eine andere Achse dreht. Es gibt, genau hier, noch ein kleineres Gehäuse, das irgendeine absonderliche Funktion erfüllt, die er nicht erfassen kann, das aber zugleich das Gewicht ist, das ein sich selbst aufziehendes System antreibt. Das Zahnrad, das am nördlichen Ende aus dem Ball hervortritt und dort auf das stößt, was auch immer von dieser winzigen Maschine angetrieben wird (auch wenn es natürlich keine Maschine ist, es ist etwas sehr viel Seltsameres und Mächtigeres: ein Speichermedium, die Festplatte eines Computers, hergestellt aus Messing), ist eigentlich nur eine Abdeckvorrichtung. Wenn das Ding aktiv wird, gleitet es zur Seite und offenbart eine Verbindung von Getrieben, die so komplex ist, dass Joe Spork ihr inzwischen im Stillen einen modernen Namen gegeben hat. Er nennt sie ein Interface .
    Enigma, denkt er. Colossus? Ist das ein Gerät aus dem Krieg? Ein Dechiffrierer oder ein

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