Der goldene Schwarm - Roman
schweigen.«
»Billy, die Sache ist ernst.«
»Ich meine es auch ernst, Joseph. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Mittelsmann und seiner Kundschaft ist heilig.« Billy schnauft hochtrabend, als wolle er sagen, dass es besonders heilig sei zwischen Leuten, die gewohnheitsmäßig lügen und stehlen. »Wenn Elf Senkrecht Themse ist, dann endet es mit s.«
»Ich habe keine Ahnung. Ich bin ganz schlecht in Kreuzworträtseln.«
»Nun, das bin ich auch, Joseph, aber man wächst an seinen Aufgaben.«
»Sag mir einfach, dass es nicht gestohlen ist, Billy.«
»Es ist nicht gestohlen, Joseph.«
»Wirklich?«
»Hand aufs Herz.«
»Es ist gestohlen.«
»Wer kann sich jemals sicher sein, Joseph? Keiner von uns.«
»Herrgott …«
»Hilf mir bei der Lösung, bitte. Hm. Es könnte Atlas sein. Das war doch dieser Typ mit dem Erdball auf dem Rücken, oder? Nein, passt doch nicht, aber es gab Übereinstimmungen.«
»Mein Gott«, sagt die Frau, die ihnen gegenübersitzt, »es ist Chaos !«
»Okay, okay«, murmelt Billy Friend und fügt dann gereizt hinzu: »Ich sehe, dass Sie Ihr Rätsel noch gar nicht gelöst haben, Missus.«
»Ich hab’s gelassen«, erwidert sie eisig. »Es ist heute die leichte Version.«
Billys Augenbrauen klettern unwillkürlich die Stirn hinauf, und seine Mundwinkel senken sich. Sein Gesicht läuft rot an.
»Sie lassen Vaughn Parry nächsten Monat auf Bewährung raus«, sagt Joe schnell, da Billy nicht lange zivilisiert bleibt, wenn er glaubt, dass sich jemand über ihn lustig macht. »Oder wie man das nennt, wenn es medizinisch ist. Sie sagen, er sei geheilt.«
»Was, ernsthaft?« Billy sieht bestürzt aus. Vor fast einem Jahr – als eine der großen Zeitungen das abstoßende Material der Überwachungskamera veröffentlicht hatte und Vaughn Parrys müheloser Todestanz, geschmeidig und grauenerregend, einer voyeuristisch entsetzten Öffentlichkeit präsentiert wurde – hatte Billy zum ersten Mal angedeutet, dass er den Teufel von Findsbury bereits als Junge gekannt hatte und einzigartige Insider-Informationen sowie möglicherweise anzüglichen und erschreckenden Klatsch über Vaughn Parry bereitstellen könnte, falls ihn jemand fragen würde. Bisher hat das niemand getan.
»Ernsthaft.«
»Heilige Scheiße. In der Bewährungskommission möchte ich nicht sitzen.«
»Er wird sie ja wohl kaum im Gerichtssaal anfallen, oder?«
»Oh, nein, so nicht. Aber was sie zu sehen kriegen werden, Joseph, ich meine, ich weiß es ja nicht. Allerdings kann ich mir einiges zusammenreimen, ich kann es mir ausmalen, und das würde ich lieber nicht. Ich glaube, man könnte selbst verrückt werden, wenn man dort auf der Bank sitzt. Ich frage mich, ob so was schon mal vorgekommen ist.«
»Vielleicht bekommen sie anschließend eine Therapie oder so was.«
»Na, das wäre natürlich ’ne große Hilfe. Wenn man gewisse Dinge einmal erfahren hat, Joe, ist nichts mehr so wie vorher. Was man sieht und tut, macht einen zu dem, der man ist. Und wenn man in Vaughn hineinschaut …«
»Hast du ihn wirklich gekannt?«
»Ich bin ihm begegnet, ja. Ob ich ihn gekannt habe? Nein. Gott sei Dank, Joe, und ich bin ja nicht gläubig, wie du weißt, aber wenn ich an Vaughn denke, danke ich Gott in den alleraufrichtigsten Worten, dass ich ihn nie wirklich kennengelernt habe.«
»Was ist passiert? Ich meine, wie seid ihr euch begegnet?«
»Es ist ein wenig … na ja. Unerfreulich, das ist es. Keine schöne Geschichte, Joseph.« Billy schaut auf seine Hände hinab. Er wischt etwas aus seiner linken Handfläche und pult dann an seinen Fingernägeln herum.
»Wenn du’s nicht erzählen willst, Billy, ist das auch in Ordnung. Wir können über was anderes reden.«
»Nein, ist schon gut. Es ist nur eher ein Gesprächsthema für den Pub, weißt du. Gemütliche Ecke, nach ein paar Gläsern, nicht vor Fremden.« Er blickt sich um, und die anderen Reisenden im Abteil vertiefen sich etwas zu offensichtlich in das, was sie gerade tun. Joe zuckt mit den Achseln.
»Vertreten wir uns die Beine. Holen wir uns ’ne Tüte Chips oder so was.«
Die grantige Frau wirft den Sportteil ihrer Zeitung auf Billys Platz, als sie gehen.
Billy Friend zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich aus dem Fenster, direkt neben dem Schild, das das Rauchen verbietet, und unter dem Schild, das davor warnt, Hände oder Kopf während der Fahrt aus dem Fenster zu strecken. Er zieht angespannt, gegen den Wind, und wendet sich dann wieder Joe zu. Es ist
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