Der goldene Schwarm - Roman
hinteren Bereich des Zuges, das der Mönche ganz hinten mit einem kleinen Kontingent für Soldaten – im Grunde nichts anderes als eine wehrhafte Baracke –, darauf folgt das Abteil der Frauen, dann die Bäder und die Gemeinschaftsmesse, der Arbeitsbereich und die Unterrichtsräume und schließlich eine verschlossene Tür, die zu Abel Jasmines Arbeitszimmer und zum Entsendungsraum führt, der sich gegen die Lokomotive schmiegt und, wie die Baracken, so weit bewaffnet ist, um bei einem Angriff Widerstand leisten zu können. Edie vermutet – in ihrer neuen Tarnung als Studentin der Kriegsstrategie –, dass hier eine taktische Priorität, eine Selektion vorliegt. Sie hat bereits herausgefunden, dass ein ferngesteuertes Abkopplungssystem durch den Zug verläuft, das nur mit einem speziellen Schlüssel bedient werden kann. Es gibt Zugangspunkte überall im Hauptkorridor, der im Zickzack um die Abteile herum verläuft, was sie privater macht und zugleich einer einsehbaren Raumflucht entgegensteht. Man hat sich viele Gedanken gemacht bei der Konstruktion des Lovelace , die weit über die seltsamen, taktilen Gebete der Ruskiniten hinausgehen.
Was natürlich bedeutet, dass sowohl gegen Infiltration als auch gegen Angriffe Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wurden. Doch Edie ist sich sicher, dass keine der Alarmanlagen, die sie auslösen könnte, sie gleich umbringen wird, es sei denn, dass Abel Jasmine es eigens anordnet.
Zumindest zu siebzig Prozent ist sie sich sicher.
Edie zieht ein neues Ventil und wirft dem Mädchen neben sich – Clarissa Foxglove – einen wehmütigen Blick zu. Clarissa hat ebenmäßige Haut und kurze Haare, und Edie, die neben ihr arbeitet, ist sich ihrer Nähe und Energie und ihres starken, entschlossenen Auftretens überaus bewusst. Clarissas Stimme ist heiser, als hätte sie unentwegt eine Halsentzündung, und sie raucht billige Zigaretten, die ihr von ihrem Onkel bei der France libre in einem monatlichen Paket zugeschickt werden, das zugleich Vorhaltungen enthält, sie solle sich im Dienst des Vereinigten Königreichs Seiner Majestät von England gefälligst mehr anstrengen. Edie, die beobachtet, wie Clarissa ihre Lippen schürzt und jede Zigarette anfeuchtet, bevor sie sie in den Mund steckt, empfindet stechende Eifersucht. Nicht, dass sie eine Zigarette haben wollte. Manchmal wünscht sie sich in einem Anfall von Sehnsucht, der ihr den Magen umdreht, dass Clarissa Foxglove mit ihr das Gleiche machen würde. Vor zwei Tagen hat Edie eine Kneifzange an Alice Hoyte, Clarissas Nachbarin auf der anderen Seite, weiterreichen müssen und sich dabei, komplett ausgestreckt, corps à corps , an Clarissa gepresst. Ihre Hüften haben sich sanft aneinander gerieben, und Clarissas Schultern haben sich unter ihrem Unterkleid bewegt, während sie eine durchgebrannte Sicherung ausgetauscht hat. Auf einem sanften Kissen lege ich meine Glieder zur Ruhe , wie es bei Sappho heißt. Oh, wie wahr.
Edie schiebt diesen Gedanken energisch beiseite, nicht wegen seines Inhaltes, den sie für ausführliche spätere Betrachtung aufspart, sondern weil er sie von der Aufgabe ablenken könnte, die sie vor sich hat. Bevor sie ihre Augen von Clarissa Foxglove abwenden kann, erhascht das Mädchen ihren Blick, lächelt sie verschwörerisch an und beugt sich schließlich ziemlich absichtsvoll vor, um sich Edies Schraubenzieher auszuleihen, wobei Clarissas mit Spitze bedeckte Brust über Edies Arm und Schulter eine Linie zieht, die sie noch spüren kann, lange nachdem der Kontakt beendet ist.
Konzentrier dich.
Der Zentralkorridor des Lovelace wird patrouilliert und wahrscheinlich unpassierbar sein. Diesen Weg hat Edie bereits ausgeschlossen. Doch in wenigen Minuten wird die Glocke das Ende der Schicht vermelden, und eine neue Gelegenheit wird sich bieten. Edies Arbeitsgenossinnen (einschließlich Clarissa Foxglove, oh weh) werden sich Richtung Dusche aufmachen. Und ist das nicht auch eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte? Mmm.
Konzentrier dich.
Ein dürres Mädchen – ein Mädchen mit starken Armen und keiner nennenswerten Brust – könnte aus dem Waggon klettern und sich aufs Dach hinaufziehen, wenn es einen Schraubenzieher hätte, um den Filter von einem der Lüftungsklappen abzuschrauben. Solange der Zug nicht durch irgendwelche Tunnel fährt und eine gemäßigte Geschwindigkeit beibehält, könnte sie es über das Dach bis zur Lok schaffen, über die dortige Wartungsklappe wieder hineinschlüpfen und
Weitere Kostenlose Bücher