Der goldene Schwarm - Roman
Leben wird sich jetzt ändern, Edie. Wir reden morgen früh darüber. Aber im Namen von uns allen: Wirklich gut gemacht. Nun, Clarissa wird Ihre Hand in Ordnung bringen.«
Edie lässt sich fortführen.
Clarissa säubert ihre Hand ziemlich rücksichtslos, und Edie jault einige Male auf, als sie ihr den in der Wunde festsitzenden Dreck herauspult. Dann begleitet sie Edie ins Bad, reicht ihr sehr geschäftsmäßig warme Handtücher und bringt sie schließlich in ihre eigene Kabine.
»Du hast es die ganze Zeit gewusst?«
»Oh, ja. Einmal pro Jahr probiert das immer jemand. So sind wir alle. Aus Liebe zum Vaterland machen wir uns zum Narren und so weiter.« Clarissa lächelt. »Na, komm. Zeit, dich ins Bett zu stecken.« Sie gibt Edie einen zarten Schubs, indem sie sich gegen ihren Rücken drückt, und Edie erinnert sich an ihre Überlegung, ob sie einander nicht ihr Innerstes offenbaren sollten. Sie kann das andere Mädchen sehr deutlich hinter sich spüren. Sie dreht sich um, riecht Minze und Zigaretten und weiß, dass es der Duft von Clarissas Mund ist.
Clarissa Foxglove rekelt sich. Sie streckt ihre Arme zur Seite und hebt sie dann absichtsvoll über ihren Kopf. Edie schaut zu.
»Ich nehme an, du bist sehr müde«, sagt Clarissa. »Ich bin’s auf jeden Fall. War ein langer Tag. Aber anderseits willst du … vielleicht willst du ja …«, sie schließt die Tür, indem sie ihren Körper davorschiebt, wobei sie ihren Rücken ein wenig durchdrückt und ein tiefes, breites V aus Haut offenbart, »… vielleicht willst du ja noch ein bisschen länger wach bleiben.«
Edie gibt ein Geräusch von sich, das fast wie ein Stöhnen klingt, und schnellt vor. Clarissa hat ihren Morgenmantel schon fast ausgezogen.
Edie Banister, jugendliche Meisterspionin, landet auf ihrem Rücken und macht ein Geräusch, als würde jemand einen Dudelsack fallen lassen. Sie kann jede Menge gelbe Funken sehen, die auf ihren Augäpfeln spielen. Ooh. Wie schön …
Sie versucht zu atmen. Es fällt ihr schwer. Sie spürt, wie der Zug unter ihr dahinfährt, spürt das Vibrieren der Schienen in ihrer Brust. Sigadaschunk tschaktschak . Weichen. Schadatakacktack .
Kleine gelbe Funken. Leicht silbrig und braun. Mrs Sekuni taucht neben ihr auf und stupst sie rüde an. Das bringt sie dazu zu husten, und dann kann sie plötzlich wieder atmen, in klaren und tiefen Zügen.
»Das war nicht sehr gut«, sagt Mrs Sekuni. »Es war sehr nicht sehr gut.«
»Schlecht«, sagt Edie heiser, deren Lungen wieder ihren Dienst angetreten haben.
»Nein«, erwidert Mrs Sekuni. »Schlecht war es nicht. Es war sehr nicht sehr gut.«
Mrs Sekuni, die klein ist und sehr hübsch und aus Südostasien kommt, legt viel Wert auf Präzision. Und wenn das Englische nicht über die notwendigen Nuancen verfügt, wird die Sprache so lange modifiziert, bis sie ausdrücken kann, was sie sagen möchte. So entsteht eine Rangfolge des Nicht-Gut-Seins, angefangen mit »nicht ganz sehr gut«, was besser ist als »nicht sehr gut«, aber noch keineswegs akzeptabel, bis hinunter zu »sehr nicht sehr gut« und »wirklich sehr nicht sehr gut« und »sehr, sehr nicht sehr gut«. Mrs Sekunis englischer Wortschatz ist durchaus differenziert, aber englische Worte haben für jeden individuellen Engländer stets eine leicht unterschiedliche Bedeutung, und vor einigen Monaten ist es Mrs Sekuni leid gewesen, ihre Version dieser Worte zu erklären und sich deshalb mit Soldaten und Spionen und Polizisten herumzustreiten. Nun benutzt sie das Englische nur noch auf ihre eigene Weise, und zu den ersten Dingen, die ihre Schüler lernen müssen, zählt es, zu verstehen, wo ihre letzte Bemühung auf der Skala des Katastrophalen einzuordnen ist.
»Sehr nicht sehr gut«, sagt Mrs Sekuni kummervoll, und Edie verspürt Gewissensbisse. Mr Sekuni, der in einem der staubigen Bücher von dem hohen Stapel auf seinem Schreibtisch liest, räuspert sich und wirft seiner Frau einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Es war besser«, gesteht Mrs Sekuni ein. »Besser.«
Neu gestärkt von dem Wissen, dass sie zwar immer noch nicht zu gebrauchen ist, sich aber immerhin verbessert, rappelt sich Edie auf und nimmt ihre Position auf der tatami ein. Ein japanisches Wort, das »Übungsmatte« bedeutet, allerdings nicht wirklich, es gibt also nun ein neues Wort im Sekuni-Englisch, das genau das bedeutet, was das Original bedeutet, und durch einen glücklichen Zufall genauso klingt, wie wenn ein Engländer versucht, auf Japanisch
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