Der goldene Schwarm - Roman
Wenn jemand zum Beispiel dabei ist, ein Repetiergeschütz zu entwickeln, mit dem sich massiver Stahl durchdringen ließe, oder einen Erdbebengenerator oder eine Ultraschallkanone, die Panzer dazu bringen würde, sich selbst zu sprengen, so besteht Abel Jasmines Aufgabe darin, sicherzustellen, dass dieser Jemand für die Krone daran arbeitet und nicht für die Achsenmächte.
Was eine Frage aufwirft: »Arbeitet denn zurzeit irgendwer an irgendetwas dieser Art?«
Abel Jasmine lächelt. Er hat sich nicht angekündigt, aber Edie weiß immer, wenn sich jemand hinter ihr befindet, und setzt nun ihre Unterhaltung vom vergangenen Tag fort.
»Was zum Beispiel?«
»Superwaffen im Weltall. Energiestrahlen und Blitzkanonen.«
»Oh ja, und nicht nur das. Dies ist eine seltsame Zeit, Miss Banister. Die unsichtbare Welt ist, wie sich herausstellt, erheblich größer als die Welt, die wir kennen. Männer und Frauen schlagen sich mit dem Ungreifbaren herum und produzieren … nun: Wunder und Schrecken. Wie die Röntgenstrahlen. Ein Triumph der Medizin. Eine wundervolle Entdeckung. Wenn man mal davon absieht, dass eine zu lange Bestrahlung den Körper verfaulen lässt wie Pest und Feuer. Wie weit kommen wir damit? Was wäre die machtvollste Auswirkung? Stellen Sie sich ein Schlachtfeld vor, auf dem der Feind aus weiter Entfernung mit unsichtbarem Licht versengt wird.«
Edie stellt es sich vor, und es gefällt ihr nicht.
»Dazu dient all das hier?«
»Nein, Miss Banister. Das hier ist viel bedeutsamer. Kommen Sie.« Er zeigt auf das Herrenhaus. Ein Mann wartet auf der Schwelle, eine seltsame, schlanke Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet.
»Ruskiniten«, sagt Edie mit einer gewissen Resignation in der Stimme.
Es ist nicht so, als ob Edie ein Problem mit den Ruskiniten hätte. Der Hüter – der sich nicht nur als Entwickler des Lovelace , sondern zudem als Oberhaupt der Ruskiniten herausgestellt hat – ist eine durchaus umgängliche Person, weil seine Leidenschaft so offenkundig und so durch und durch unbedrohlich ist. Und, ja, sie hegt einige Sympathie für die Vorstellung, dass all diese industriell produzierten, immer gleichen Gegenstände nach und nach die unbeholfeneren handgemachten Dinge ersetzen, mit denen sie aufgewachsen ist, und die Seele in eine Art schauriges Exil treiben könnten.
Sie vertraut nur einfach Leuten nicht, die aus reinem Glauben Dinge tun. Außerdem vermutet sie, dass eine Gruppe, die vorgibt, die Einzigartigkeit zu feiern, dabei aber Uniformen trägt, Gefahr läuft, wie Miss Thomas es ausgedrückt hätte, etwas »vom Weg abzukommen«.
Sie lächelt, als sie das Herrenhaus erreicht.
»Hallo«, sagt der Ruskinit. »Ich bin Mockley.«
»Und was ist Ihr Gebiet?«, erwidert Edie freundlich, da dies für einen Ruskiniten die wichtigste Frage ist, die man ihm stellen kann.
»Hauptsächlich das Schweißen. Ich habe eine Begabung für asymmetrische Lötstellen, die auch extrem irregulärer Scherung standhalten. Mit denen muss man sich ein bisschen auskennen.« Er winkt vage ab.
»Oh«, sagt sie. »Wie wunderbar.«
Mockley strahlt.
»Führen Sie uns bitte hinein, Mockley«, sagt Abel Jasmine.
Im Inneren tönt der ganze Raum. Edie spürt es in ihrer Brust, ein wildes, frohlockendes Vibrieren von Kraft. Hier wird massives Gestein bearbeitet, man gräbt und wühlt sich in die unter ihnen liegenden Meereshöhlen hinab. Es gibt einen Glasofen (für die Bearbeitung und das Blasen von Glas, keinen aus Glas gemachten Ofen, auch wenn sie das keineswegs überraschen würde) und einen Hochofen, einen Kessel und mehrere riesige Röhren und Wassertanks, deren Funktion Edie schleierhaft bleibt. Es gibt Chemieretorten, Bottiche und Kondensatoren und seltsam aussehende Geräte, die in gewisser Weise den Chiffrierapparaturen im Lovelace ähneln. Ein wildes Kuddelmuddel, ein Spielplatz der Wissenschaft. Doch als Edie sich der tiefen Grube in der Mitte nähert, stellt sie fest, dass sie sich getäuscht hat. Das ist kein Spielplatz, ganz und gar nicht. Eher die Schmiede eines Gottes, in der magische Schwerter und sprechende Statuen und andere märchenhafte Dinge erschaffen werden.
Unten in der Tiefe schäumt der blaugrüne Atlantik, und irgendetwas wird weiter und weiter in den Kessel hinuntergelassen: Es sieht aus wie eine Bombe, deren Kabel sich die Klippe hinaufschlängeln. Noch tiefer, im bohrenden Starren der riesigen Suchscheinwerfer, die nicht nach oben, sondern nach unten weisen, kann Edie noch etwas anderes
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