Der goldene Schwarm - Roman
stellt verblüfft fest, wie sie herumgewirbelt wird, durch die Luft fliegt und auf dem Boden landet. Nun kontrolliert merkwürdigerweise Mrs Sekuni die Waffe, und Edie liegt flach auf dem Rücken und ist auf eine derartig totale Weise verwundbar, dass es sich sehr erotisch anfühlt. Mrs Sekuni hat sie fest im Griff, ein Knie auf ihrer Brust, eine Hand auf ihrem Gesicht und die andere am Heft des Übungsschwertes, das quer über Edies Hals liegt. Ihre Augen starren in Edies Augen, braun und tief und sehr ernst. Beide tragen sie das traditionelle keikogi , einen Trainingsanzug, und Edie kann Schweiß riechen, Kriegswaschmittel und etwas Würziges, das ihren Mund zucken lässt. Unter großer Willensanstrengung schaut sie nicht in den Ausschnitt von Mrs Sekunis Oberteil. Sie kann den Druck einer kleinen, muskulösen Brust an ihrer eigenen spüren.
Mrs Sekuni grinst durchtrieben, lässt Edie dann frei und rollt sich in einer fließenden Bewegung in die Senkrechte. Die Sekunis gehen mit Fragen der ehelichen Treue auf unkonventionelle Weise um, schließlich sind sie davon überzeugt, dass herkömmliche Vorstellungen von Liebe die Domäne des patriarchalen Totalitarismus sind. Außerdem haben sie, zu Edies großem Bedauern, die strenge Regel, nicht mit Schülern zu schlafen.
Kurz taucht Mrs Sekunis Zunge auf, mit der sie gegen ihre Vorderzähne stößt. Edie wendet den Blick ab.
»Warum wird es Yama Arashi – Gebirgssturm – genannt?«
»Möglicherweise weil der uke mit einem sehr lauten Knall auf dem Boden landet«, schlägt Mrs Sekuni vor. »Lernen Sie dies, Edie. Yama Arashi ist sehr gutes Budo. Schwierig, weil es viele Dinge mit einschließt. Aber sehr, sehr gut.« Und dann schaut sie über Edies Schulter und schlägt sich voller Entsetzen die Hand vor die Stirn.
»Mr Pritchard! Was tun Sie denn da? Ist das etwa O-soto-gari? Nein! Ist es nicht! Es ist ein Yak, das sich mit einem Traktor paart! Das ist wirklich sehr, sehr nicht sehr gut! Mein Großvater weint im Himmel, oder würde es tun, wenn es einen solchen Ort geben würde! Noch einmal! Noch einmal und diesmal vernünftig!«
Als Mrs Sekuni zufrieden mit Edies Kampftechniken ist, beginnt Mr Sekuni, sie in Sachen Waffenkunde und Sprengstoff zu unterrichten.
Edie weiß, dass ihre Ausbildung zu Ende ist, seit sie den Befehl gesehen hat, der sie »von den Schienen« holen soll. Nun steht sie zum ersten Mal seit Wochen auf festem Boden, und ihre Beine fühlen sich komisch an – eine Art umgekehrte Reisekrankheit. Sie kann Farnkraut und Erde riechen und im Wind den unverkennbaren Geruch von Bauarbeiten: heißes Metall und verbrannter Steinstaub.
Vor ihr erhebt sich ein recht düsteres viktorianisches Herren- oder Bauernhaus – vorausgesetzt, dass man sich unter dem Leben eines Bauern vorstellt, um zehn Uhr morgens aufzuwachen, an den Hecken entlangzuschlendern und Dinge zu äußern wie: »Ich muss schon sagen, Jock, der Weizen sieht dieses Jahr großartig aus, gut gemacht!« –, ein Gebäude, das wohl kürzlich zu einem geheimen Stützpunkt umfunktioniert wurde. Offenbar gibt es auch ein geheimes Gewächshaus, in dem vermutlich Hochsicherheits-Tomaten wachsen.
Auf der anderen Seite des Herrenhauses nimmt allerdings noch etwas anderes Gestalt an. Eine Fläche von der Größe eines Flugzeughangars ist mit Gras bedeckt wie ein Begräbnishügel, der sich über einem weit aufgerissenen Schlund erhebt, der wie ein Torbogen ins Erdinnere führt. Bald, nimmt Edie an, wenn der Ginster nachgewachsen ist und das Gras die Baustelle vollständig bedeckt, wird all das ganz natürlich aussehen. In den Schlund führt eine Reihe von Eisenbahnschwellen, jedoch – noch – ohne Schienen, grün und braun gestrichen und mit cleveren trompe-l’œil- Effekten versehen, sodass es aus der Luft ganz unauffällig aussehen wird.
Es gibt selbstverständlich Experimente, die zu bedeutsam oder zu gefährlich sind, um sie an Bord eines fahrenden Zuges durchzuführen, selbst wenn es sich wie beim Ada Lovelace um einen Ruskiniten-Zug mit Gasdämpferaufhängung und einer geodätischen Bauweise handelt; Dinge, die Edie nicht einmal ansatzweise versteht.
Sie grübelt vor sich hin. Der aggressiver operierende Teil von Science 2 wird ganz prosaisch S2: Active genannt und hat die Aufgabe, wissenschaftliche Theorien zu untersuchen und sehr selten auch umzusetzen – Theorien, die zwar vollkommen fantastisch klingen, die jedoch, wenn sie bestätigt würden, die Welt aus den Angeln heben könnten.
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