Der goldene Schwarm - Roman
»Tatami« zu sagen.
Edie hat in letzter Zeit im Rahmen ihrer Studien des Budo eine ganze Reihe interessanter Theorien von Mrs Sekuni gelernt. »Nicht bloß Bujutsu!«, sagt Mrs Sekuni scharf. »Budo! Sie werden mehr lernen als bloß das, was Haut ist und was Fleisch.« Worauf Edie über und über rot geworden ist und woanders hingeschaut hat.
Mr Sekuni brüllt »Hajime!«, und Edie greift an, nur um im nächsten Moment festzustellen, dass sie schon wieder durch die Luft fliegt. Doch diesmal schafft sie es, gut zu landen, rollt aus und steht auf ihren Füßen und zur Abwehr bereit. Mrs Sekuni nickt bedächtig.
»Besser?«, fragt Edie hoffnungsvoll.
»Sehr besser«, sagt Mrs Sekuni.
»Ich verstehe das nicht«, sagt Edie später, während Mrs Sekuni einer Kompanie von Elitesoldaten dabei zusieht, wie sie sich in ordentlichen Paaren und vor dem Hintergrund des Lovelace -Dojos durch ihr Training arbeiten. »Ich dachte, Japan sei unser Feind.« Schließlich ist der Umgang zwischen Japan und England seit Tientsin nicht gerade herzlich gewesen.
»Nein«, sagt Mr Sekuni. »Japan ist niemandes Feind. Japan ist eine Insel, die aus Steinen und Erde besteht, die das Meer und der Regen waschen und die von einem großen Vulkan beschattet wird. Japan selbst pflegt keinerlei politische, nicht einmal imperialistische Haltungen irgendeiner Art. Selbst die Japaner – und es gibt viele verschiedene Arten von ihnen in Japan –, nicht einmal sie sind Ihr Feind. Der Kaiser vielleicht. Der Staat ganz sicher. Aber nicht wir – und deshalb sind wir hier.«
»Sind viele Menschen in Japan dieser Ansicht?«
»Ja«, sagt Mr Sekuni.
»Nein«, sagt Mrs Sekuni.
»Viele«, versichert Mr Sekuni nachdrücklich.
»Aber kein großer Anteil der Gesamtbevölkerung«, sagt Mrs Sekuni mit großer Präzision, und dies, das muss Mr Sekuni zugeben, entspricht der Wahrheit.
»Wir sind Kommunisten«, sagt Mrs Sekuni ungerührt. »Wir glauben nicht an Kaiser oder Königinnen oder an den freien Markt und nicht einmal an die Diktatur des Proletariats. Wir glauben an eine Welt, in der die Menschen gleich sind an Würde und nicht an Verächtlichkeit, und in der Ressourcen – die im Kapitalismus durch die Quasi-Zufälligkeit eines Marktes ausgeschüttet werden, der blind operiert und Dingen Rechenschaft zollt, die sich nicht leicht bemessen lassen – in einem vernünftigen Sinne durch den Staat zugeteilt werden.
Aber mehr habe ich dazu nicht zu sagen, da es mir nicht gestattet ist, meine abstoßende nippon-marxistische Propaganda gegenüber Mitarbeitern von S2:A zu verbreiten – auf besonderen Befehl von Mr Churchill, der, ganz nebenbei, ein dickes, rauchgefülltes, reaktionäres Warzenschwein ist und ein sehr netter Mann.«
Sie seufzt. Einen Moment lang entspannt sich ihr Gesicht, und Edie kann die Zeichen frühen Alters an ihr erkennen: Falten zarter Sorge und schleichenden Kummers. Dann dreht sie kraftvoll ihren Kopf im Nacken, was einen knorpeligen Knacklaut verursacht.
»Kommen Sie«, sagt Mrs Sekuni und zieht Edie zurück auf die Matte. »Yama Arashi. Der Gebirgssturm.« Alle treten rasch beiseite. Mrs Sekuni geht hart mit Leuten ins Gericht, die in ihre persönliche Trainingszone eindringen.
»Nehmen Sie dies und schlagen Sie zu.« Sie reicht Edie einen langen hölzernen Stab, der als Schwert dienen soll. »Nicht zögern! Zuschlagen!«
Edie schlägt zu, wie man es ihr beigebracht hat. Mrs Sekuni weicht nicht aus und tritt auch nicht zurück. Stattdessen bewegt sie sich mit weit ausgebreiteten Armen voran, als habe sie vor, die Klinge zu umarmen. Edie kommt das entsetzliche Bild in den Sinn, wie sie bei einer solchen Aktion von einem wutschnaubenden Soldaten des Kaisers in zwei Hälften geteilt wird. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie, wie Mrs Sekunis wunderschöne, zierliche Gestalt entlang einer diagonalen Linie auseinanderfällt und wie sich daraufhin Mr Sekunis gutherziger, kluger Gesichtsausdruck zuerst in Trauer und dann in Wut verwandelt, während er den Soldaten auseinandernimmt, brüllend auf dessen Frontlinie zustürmt und daraufhin von moderneren Waffen in Fetzen gerissen wird.
Edie ist erstarrt. Die hölzerne Übungsklinge schwebt auf halber Höhe über dem Boden. Mrs Sekuni fängt ihren Blick auf.
»Ja«, sagt sie. »Was wir hier tun, ist in der Tat sehr ernst. Noch einmal.«
Diesmal hält Edie nicht inne. Mrs Sekuni ebenfalls nicht, und ihre Arme umfassen nicht das Schwert, sondern Edies Arme, drücken zu und drehen. Edie
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