Der goldene Schwarm - Roman
wäre. Joshua Joseph weiß mit instinktiver Leidenschaft, dass es der geheimste, bemerkenswerteste, unvorstellbarste Ort auf der ganzen Welt ist, und noch umso wunderbarer, weil er ständig umherzieht. Er ist ein Umschlagplatz für alles und jeden. Steuern und Zolltarife haben keine Bedeutung in dieser im Dunkeln liegenden, von Fackeln erleuchteten Feste, in der der Handel mit verbotenen Waren und Piratenschätzen blüht. Mathew behauptet, er sei aus dem Beruf der Wrackausschlachter entstanden. Er erklärt, dass seine Gründer dereinst von den Küstengewässern aus die Themse hinaufgekommen seien, um in London ihre Beute aus den gesunkenen Schiffen loszuschlagen. Er sagt, es sei Großbritanniens erste Demokratie an Land gewesen (da die Piratenschiffe selbst die ersten konstitutionellen Parlamente darstellten). Vielleicht stimmt das. Mathews dann und wann ganz unvorhergesehen auftauchende Gelehrsamkeit überrascht selbst seinen Vater Daniel, der alles weiß. Außerdem ist der Markt, den Mathew wiederbelebt hat und dessen gesalbten König er darstellt (oder den auf Lebenszeit gewählten Präsidenten, wenn man bei dem großen demokratischen Erbe bleiben will), der einzige Aspekt seines Berufslebens, gegen den Daniel Spork nichts einzuwenden hat, der einzige Teil von Mathews Leben, abgesehen von Joshua Joseph und seiner Mutter Harriet, der Daniel ein Lächeln abringt.
Vielleicht liegt es am heimeligen Kaminfeuerglimmen der Stände. Berichten zufolge wird der Markt, wie ein hängender Garten aus Antiquitäten und Juwelen, in Stufen und Terrassen aufgebaut, über weite Flächen ausgebreitet oder in einer alten Brauerei oder riesigen Krypta wild übereinander angeordnet. Jeder Stellplatz ist nach dem jeweiligen Geschmack des Besitzers gestaltet und beleuchtet, muss aber mit einem normalen Typ-G-Stecker betrieben werden können, denn die Stromkosten sind noch nie so hoch gewesen, weshalb der Markt auch meistens mit Gas beleuchtet und von kleinen Kohlefeuern in schwedischen Kachelöfen oder viktorianischen Feuerrosten beheizt wird. Auch das Essen riecht, wie Harriet einmal sagte, wie in einer gigantischen Gewürzküche: Kuchen und Fleisch und Fisch und Kräuter und Süßigkeiten gibt es hier, die in Frankreich und Italien an der Tagesordnung, im guten alten England aber völlig unbekannt sind. Es gibt Knoblauch und Basilikum und Kurkuma und Curry und eine Art schwarzen Pilz, der nach … aber hier hatte Harriet recht abrupt das Thema gewechselt. Es muss jedenfalls etwas sehr Exotisches gewesen sein.
Und mittendrin all die Handelswaren, die vom Flackern der Fackeln beleuchtet werden, wenn der Käufer sich die Zeit nimmt, den Preis in Augenschein zu nehmen, wenn er die Ware inspiziert, beurteilt oder ausprobiert, sie wiegt, sie misst, sie kauft oder zurückstellt. Geld wandert von Händen in Brieftaschen, in Scheinrollen, manchmal in Schatullen, und bei jedem Abschluss fließt ein kleiner Teil davon auch an Mathew Spork.
Doch bislang ist das Einzige, was Joshua Joseph selbst davon mitbekommen hat – und was er als eine der merkwürdigen Regeln im Hause Spork auswendig lernen musste –, der Zeitungstrick.
Jeder Markt wird mit der Ankündigung beendet, wo er beim nächsten Mal stattfindet. Meistens sind es nur kleine Versammlungen, aber einmal im Monat gibt es eine große, den wahren Nachtmarkt, und dieser wird durch seltsame, verschlüsselte Botschaften an unerwarteten Orten bekannt gegeben. Der Hinweis – der Faden, mit dem sich das Knäuel vielleicht entwirren lässt – ist eine private Annonce in einer Lokalzeitung: »Komm nach Hause, Fred, alles ist vergeben!« Die Anzeige direkt darunter verrät – dank eines Abkommens mit den Setzern – verschleiert Datum und Uhrzeit. Eine zweite Zeitung offenbart eine Straße oder eine Lokalität und eine dritte einen spezifischen Namen oder eine Hausnummer. Es ist ein Puzzle. Wenn man das Prinzip kennt, ist es ganz simpel, wenn nicht, undurchschaubar.
»Wirst du mir denn dann sagen können, wo er stattfindet?«, will Mathew Spork mit funkelnden Augen wissen.
»Natürlich, Dad.«
Und tatsächlich hat Joe an diesem Abend, mithilfe der Nagelschere seiner Mutter und nach einer halben Stunde des Ausschneidens und Zusammenklebens, die Adresse herausgefunden.
»Wir haben einen Gewinner! Ein wahrer Sohn des Hauses Spork!«, ruft Mathew stolz aus, und Joshua Joseph wiederholt glücklich die Adresse, während sein Vater ihn durch die Luft wirbelt.
»Du gewinnst doch gerne,
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