Der goldene Schwarm - Roman
Ich musste mit ihm sprechen. Ich war in allen Zimmern, aber ich habe nicht viel angefasst. Ich hatte ein Schüreisen in der Hand.«
»Keines, das du selber mitgebracht hast, nehme ich an.«
»Billys.«
»Gut. In Kürze wird der Ort nur so wimmeln vor unglücklichen Bullen. Ihr erster Instinkt wird es sein, dir Handschellen anzulegen und das Gefühl zu geben, dass du für allezeit ins Gefängnis wanderst. Halt den Mund, bis ich da bin. Sag kein Wort, nicht einmal: Guten Abend, Officer, zur Leiche geht es hier entlang. Zeig einfach nur. Mach keine freiwillige Aussage. Sei nicht kooperativ. Bleib im Treppenhaus – bist du im Treppenhaus?«
»Bin ich. Vorher war ich in der Wohnung. Er liegt auf dem Bett.«
»Und du hast ihn zweifelsfrei so wenig wie möglich berührt? Du hast den Verstorbenen nicht zufällig in einem irrigen Anfall von Zuneigung zu dem kleinen Mistkerl umarmt und dich mit Blut und ihn mit Fasern deiner Kleidung beschmiert?«
»Er liegt unter einem Laken. Ich habe es nicht hochgehoben.«
»Gut. Sehr schön. Was war meine erste Anweisung?«
»Nichts sagen. Auf dich warten.«
»Und habe ich gesagt, dass du irgendetwas anderes tun darfst? Hab ich dir zum Beispiel die Erlaubnis erteilt, in Erinnerungen an deinen alten Freund William zu schwelgen? Über eure gemeinsame Vergangenheit als Händler legal völlig einwandfreier Antiquitäten?«
»Nein, du hast gesagt, ich soll schweigen und abwarten.«
»Hervorragend. Dann werde ich dem Kellner sagen, er soll mir das Lamm in Folie einwickeln und die Flasche wieder verkorken, und dann machen wir ein Picknick.«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Wirst du aber haben, wenn wir fertig sind, Joseph. Das kann durchaus eine lange und ermüdende Soiree werden. Unter welchen Umständen wirst du den Freunden und Helfern Hilfe und Unterstützung anbieten?«
»Unter keinen, bis du hier bist.«
»Ich bin unterwegs, Joseph. Bethany?«
»Wir richten einen Krisenraum ein. Halten Sie uns auf dem Laufenden.«
»Das mache ich.«
Joe lehnt sich an die Wand und wartet.
Herrgott, dieser Geruch.
Er atmet durch den Mund und hat das Gefühl, dass das nicht anständig ist. Wenn dein Freund verwest, dann bist du es ihm zumindest schuldig, seinen Tod einzuatmen. Alles andere wäre doch unfassbar zimperlich.
Billy, du bist ein Idiot. Warst ein Idiot.
In Verzweiflung, nicht in Herablassung. Dann in Anerkennung und ohne Groll:
Du warst mein Idiot. Mein Freund.
Vor seinem geistigen Auge sieht er bereits, wie er Billy zu Grabe trägt, wie er um ihn weint, ihn jedes Mal vermisst, wenn ihm versauter viktorianischer Plunder unterkommt, ihn dann langsam vergisst und ihn, während das Leben weitergeht, immer seltener vermisst und wie Billy dann irgendwann tatsächlich nicht mehr da ist – ein in seinem Ende gleich doppelt Verlassener.
Und zugleich gibt es etwas in ihm, das all die Liebe und die schönen Worte vermeiden will und nach den harten Fakten und einer Fluchtmöglichkeit sucht. Joe ermuntert dies zögerlich. Die ganze Geschichte sieht nicht gut aus, und wenn es heute nicht mehr Zufälle in der Welt gibt als gestern, dann ist man hinter ihm her. Hier, in unmittelbarer Nähe von Billys ekelerregenden sterblichen Überresten, spürt er den Atem der Verfolger im Nacken. Während er also auf Mercer wartet und auf die vorausgesagte Horde verhaftungswütiger Polizisten, sucht Joe Spork unwillig in seinem Kopf nach alten Gewohnheiten und Denkweisen, und diese Suche beginnt wie immer, wenn es um Schandtaten geht, bei Mathew »Tommy Gun« Spork.
Er hat sich so gründlich von seinem Vater losgelöst, dass er sich einen Moment lang nicht einmal an Mathews Gesicht erinnern kann oder an seine Stimme, bis er nach Erinnerungen greift, die zu alt sind, um nützlich zu sein, und die Stimme hört. Eine vorgetäuschte Strenge hat sie angenommen, und sie kommt von oben, denn Joe ist noch ein Kind und macht sich bereit für seinen Tag.
»Beeil dich, Joshua Joseph! Ein Mann hat immer zu tun, und zwar hochherrschaftliche Geschäfte, um die er sich kümmern muss! Dieser Mann hier muss außerdem noch Frühstück für seinen Nachwuchs machen, bevor er ihn der Schule in den abscheulichen Rachen wirft. Buuuuh – Schule!« Joes Vater trägt ein Jackett mit Fellkragen und eine gestreifte Krawatte mit dickem Knoten. Breite Schultern und schmale Hüften lassen ihn wie ein gleichschenkliges Dreieck aussehen, das auf seiner Spitze balanciert (seine italienischen Halbschuhe in zwei Farben). Der kleine
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