Der Goldkocher
die Rache des Himmels heraus. Jeder tut, wie er will. Der Sonntag ist zu einem Sündentag verkommen. Und schauen wir einmal in unsere eigenen Reihen! Wie ist es denn um die Kirchgänger bestellt? Was muss ein Bote Gottes nicht alles von der Kanzel sehen!? Die Menschen halten es für Gottesdienst, wenn sie sich herausputzen und zweimal die Woche zur Andacht gehen und mit den Lippen mitsingen.«
Die Köpfe gingen hin und her, und es wurde getuschelt.
»Ja, ich hab die Wahrheit nackt vor Augen, lasst sie euch ins Gesicht sagen. Die Kirchenbänke sind voller Bauch- und Weiberdiener. Der christliche Glaube ist so klein geworden, dass er sich unter einen Birnbaum stellen kann. Noch ist das Gebet nicht zu Ende gesprochen, da überlegen sich diese Nenn-Christen schon, welche Hurerei sie sich noch für den Nachmittag vornehmen. Selbst die Weiber der Handwerker tragen die schamlosesten Kleider, mit denen sie halb nackt das Gotteshaus betreten und die Mannsbilder zum Ehebruch anreizen.«
»Das ist die Höhe!« Ein Mann, der einen teuren Kirchenstuhl ganz vorne hatte, stand auf, winkte hinüber zum Stand für die Frauen und ging zum Ausgang. »Das muss ich mir nicht anhören!«
»Ja«, rief Pfarrer Porstmann hinterher, »beim Pöbel ist keine Vernunft zu erwarten!«
Die Kirchtür fiel krachend ins Schloss. Unbeirrt sprach Pfarrer Porstmann weiter. »Am schlimmsten ist es am Hofe. Dort ist alle Selbstzucht verloren. Fleischeslust heißt die neue Religion.«
Den Menschen stockte der Atem. Sie hielten erschreckt die Hand vor den Mund und sahen mit weiten Augen hoch zur Kanzel.
»Ja, schaut der Wahrheit nur ins Gesicht.« Die Worte donnerten nun von der Kanzel. »Die Mannsbilder sind durch die fleischlichen Laster geschwächt und verlangen nach immer neuem geilen Behagen. Die Jugend schaut sich die Liebessucht von ihren Vätern ab und verzehrt die keimenden Kräfte, bevor sie gesammelt sind. Wie bei den Mohren sind unter den Hofleuten die Weiber zum allgemeinen Gut geworden. Die Weibsmenschen, die keine hohen Hüften haben, versuchen, was ihnen die Natur versagt hat, künstlich nachzumachen. Sie stopfen sich aus, um die Defekte auszufüllen, und erdreisten sich auch noch, so zum Abendmahl zu kommen! Die Weiberköpfe sehen aus, dass man davor zurückschreckt. Diese Haartürme: Man weiß nicht, ob es Schweinsköpfe sind. Das Abendmahl ist zu einem Schweinsgelage verkommen!«
Aus der Loge für die hohen Herrschaften war ein empörtes »Pah!« zu hören. »Was bildet der sich ein!« Es polterte, als wäre ein Stuhl umgestoßen worden.
»Ja, einer muss es sagen!« Pfarrer Porstmann kam immer mehr in Eifer. »Die Hofprediger werden verlacht, wenn sie die Bestrafung der Vielweiberei anmahnen. Die Schwarzen Bücher werden schon lange nicht mehr geführt, weil die Sünden der Hofleute überhaupt nicht mehr abgestraft werden. Jeder will es ärger als der andere treiben und brüstet sich damit in schmutzigen Redensarten. Nicht genug: Die Sünden der hohen Herrschaften sind auf die Menschen niederen Standes gekommen. Wo ist das Gute und wo das Böse? Ich sehe nur noch das Werk des Satans. Alle wollen schwelgen, saufen und herumhuren! Keiner will mehr seine Triebe züchtigen! Das Diebsgesindel wird von den satanischen Verlockungen aus ihren Unterschlupfen gezogen und überschwemmt die Stadt. Unser Land ist ein Sündenpfuhl geworden!«
Lips beugte sich vor und konnte sehen, dass sich in der Loge für hohe Herrschaften einige kopfschüttelnd erhoben und durch eine separate Tür hinausgingen.
Pfarrer Porstmann hob die Arme und schloss die Augen. »Ja, ich habe es klar vor Augen, wie Gott seine grausame Rute aufhebt und das verhurte Babel abstraft. Aber noch ist Zeit zur Umkehr für diejenigen, die ihren Hals unter das göttliche Regiment beugen. Brüder und Schwestern, lasst uns zueinander finden und kleine Inseln der Erwählten errichten, auf denen das Gute belohnt und das Böse abgestraft wird. Unsere Gemeinde der Erwählten ist noch klein, aber seid frohen Mutes, und lasst uns weiter fortfahren im angefangenen Guten. Lasst euch nicht anstecken von der Buhlsucht, und versagt euch dem geilen Behagen. Kommt alle, die ihr bereit seid zu Buße und Umkehr. Denn nimmt die Seuche erst einmal ihren Anfang, verlangt sie immer neue Nahrung, bis die Kreatur ganz rasend ist. Sprecht euch frei unter uns Brüdern, und erleichtert eure Seelen, bevor es zu spät ist. Amen.«
Es war ganz still. Pfarrer Porstmann stand mit gefalteten Händen auf der
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