Der Goldschmied
welcher Schütze die Scheibe getroffen hatte.
Der Turnierrichter beriet sich noch einmal und drehte sich dann zur Menge um. Alle blickten gespannt auf ihn, was er wohl zu verkünden hatte.
»Hört, ihr Leut! Hört, ihr Schützen!
Beide Pfeile berührten sich im Flug.
Nur einer sah das Ziel und traf.«
Der Mann holte tief Luft, und dann rief er laut: »Der Büttel ist der Sieger!«
Ein unglaublicher Tumult begann. Die Menschenmenge rannte los, drängte die Stadtknechte einfach zur Seite und stürmte auf die Schussbahn. Dutzende von Händen hoben den Sieger über die Köpfe der Menschenmenge hinweg. So trugen sie ihn davon. Dazwischen spürte auch Gwyn manch anerkennende Hand auf seinen Schultern. Aber die Menge folgte mit lautem Geschrei den Männern, die den Büttel davonschleppten.
Jochen machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Elender Wind! Stiehlt uns den Sieg!«, schimpfte er.
Gwyn lachte laut.
»Aus solcher Länge noch zu treffen, da lass ich mir gern den Schuss vom Winde rauben. Wer weiß, ob ich noch einmal schießen muss aus solcher Weite.«
Er zog Jochen mit sich, und sie folgten der fröhlichen Menge. Umso lieber, als sie hörten, dass man den Büttel aus lauter Übermut in den Fluss werfen wollte.
Gwyn konnte nicht wissen, dass dies nicht sein letzter Schuss aus solch einer Distanz sein würde. Dann aber würden die Umstände schrecklich sein.
***
Herr Reinmar von Hagenau führte sein kleines Lehen mit strenger, aber gerechter Hand. Trotz seiner 60 Lebensjahre war der Ritter noch immer ein stattlicher Mann. Seine Gestalt war nicht sehr groß, dafür aber breit und sehr kräftig. Sein Haar war noch von jenem blonden Ton, wie es auch sein einziger Sohn geerbt hatte. Er trug, wider die Mode, keinen Bart.
Der Graf war glücklich über die fortschreitende Gesundung seines Sohnes. Es störte ihn dabei nicht, dass der Medicus keine Hoffnung sah, dass der junge Walther von Hagenau seinen Hals je wieder bewegen können werde. Aber er würde leben und stark genug sein, das Lehen einmal zu übernehmen und Nachkommen zu zeugen. Das Geschlecht derer von Hagenau war gesichert.
Die Leidenschaft des alten Grafen war die Jagd. Nicht solcherlei Art wie die auf Rebhühner oder Fasane mit dem Bogen oder dem Falken. Auch nicht die Kaninchenjagd mit dem Frettchen. Eher die Pirsch auf große Hirsche, die der Graf mit dem Bogen oder der Lanze erlegte. Aber noch mehr stand ihm der Sinn nach der Sauhatz. Er hatte ein gutes Abkommen mit den Bauern in seinem Lehen getroffen: Wer ihm über Zahl und Größe der jagdbaren Sauen in den großen Wäldern ringsum berichtete, konnte das Mastgeld für ein ganzes Jahr sparen. Jedoch nur, wenn die gemachten Beobachtungen dem Grafen ein Jagdglück versprachen. Der schlaue Burgherr zog daraus aber zweierlei Nutzen: Ständig wusste er so über den Bestand seines großen Reviers Bescheid, und da er kaum Mastgeld verlangte, waren die Schweine gut gemästet. Was ihm die Bauern als den Zehnten ablieferten, waren kräftige, fette Schweine mit einem besonders feinen Fleisch.
Es war eine gute Zeit zur Sauhatz, zur Treibjagd auf Schwarzkittel. Der Burgherr hieß die Jagdknechte alles Notwendige vorbereiten. Da galt es, Hunde auszuwählen, Pferde zu satteln und zu zäumen, Waffen und Gerät beizustellen.
Gwyn sollte als besonderer Ehrengast dabei sein. Dies war eine beschlossene Sache. Er willigte nur zu gern ein. Einmal aus Neugierde wie auch aus der gebotenen Höflichkeit über die Ehre, die solch eine Einladung mit sich brachte. Zur Jagd rief ein Lehnsherr, und war er noch so nieder im Rang, immer nur Geschlechter von Adel. Niemals einen bloßen Freien, selbst wenn er ein solch ehrbares Handwerk ausübte wie der Goldschmied aus Augsburg. Die Jagd war Privileg des Adels, und jeder Herr hütete dies wie ein kostbares Vermächtnis. Gwyn war sich dieser Wertschätzung also sehr wohl bewusst, und er freute sich sehr.
Der Graf von Hagenau und der Jagdtross waren den ganzen Vormittag bereits unterwegs. Gwyn ritt zum erstem Mal in seinem Leben auf einem Pferd. Man hatte ihm einen Zelter zum Reiten gegeben. Ein noch junges Tier von hohem schlanken Wuchs, mit hellbraunem Fell und feiner Zeichnung. Aufmerksame Geister wählten dieses Tier für ihn aus, als er bekannte, noch nie geritten zu sein.
Er hielt sich recht leidlich und erntete Lob und Wohlwollen von seinem Gastgeber, dem Grafen, wie auch von den begleitenden Jagdknechten. Wohl auch, weil er einen Pferdeknecht hatte, der ihm immer wieder
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