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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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Grund heftiger geworden. Sie riss ihn mit sich, als wäre sein verschnürter Leib ein Stück Holz. In Gwyns Schädel hieben unsichtbare Fäuste und verlangten nach Luft.
    Plötzlich stoppte ihn ein heftiger Ruck.
    Sein Oberkörper hing an einem Hindernis. Seine verschnürten Händen ertasteten einen Holzpfahl.
    Das musste das Treppenfundament sein!
    Gwyn spürte große, feste Steine, welche den Baugrund für diese Treppenstufen bildeten. Mit letzter Kraft warf er seinen Körper auf den steil ansteigenen Steinhaufen. Seine Füße tasteten nach einem Stand, und dann stieß er sich mit einem letzten Schwung mit beiden Beinen ab. Trotz der gefesselten Arme ruderte er, so gut er konnte, um die Wasseroberfläche zu erreichen.
    Luft!, hämmerte es verzweifelt in seinem Schädel.
    Er tauchte auf und schrammte mit dem Körper bereits an dem steinernen Hindernis. Mit aller Kraft ließ er sich nach vorne fallen und erreichte so die unterste Treppenstufe. Sie lag noch im Wasser, knietief, aber er konnte nicht mehr versinken. Wenn er nun den Kopf hob, war es ihm möglich zu atmen. Er riss sich mit letzter Anstrengung den Knebel herum und drehte seinen Kopf. Gierig sog er die Nachtluft ein. Es war ihm, als müsste er die Luft trinken wie nach einem langen Durst. Seine Brust schmerzte, und in seinen Ohren hörte er ein Brausen, das an Stärke noch zunahm. Aufgestützt auf einen Arm, schob er den Oberkörper auf die nächste schmale Stufe. Diese war bereits trocken.
    So blieb er liegen, schwer atmend, bis er vor Erschöpfung das Bewusstsein verlor.
    Die Bruderschaft der apulischen Kaufleute fand ihn wenig später. Einer der Männer konnte nicht schlafen, denn es drückte ihn seine volle Blase. An der Ufertreppe wollte er sich erst einmal erleichtern. Dabei fand er den ohnmächtigen Faber.
    Gwyn verblieb drei Tage bei den freundlichen Händlern, und niemand sprach ein Wort über den seltsamen Gast. Der Stadtbüttel von Venedig wurde informiert, aber er machte Gwyn nur wenig Hoffnung. Wahrscheinlich waren die Männer, die versucht hatten, ihn zu töten, gedungene Handlanger, obwohl die rasche und fachmännische Fesselung eine andere Vermutung zuließ. Aber auch dies würde sich kaum sicher feststellen lassen. Vielleicht waren die Täter längst fort aus der Lagunenstadt oder auf einer der zahllosen Inseln und unbewohnten Sandbänke untergetaucht. Ein Flüchtling war hier kaum zu finden, und nicht einmal die Stadtknechte wagten sich in die weiten, unbekannten Landungen in der großen Bucht.
    Zwei Monate nach diesem Ereignis schloss Gwyn seine Werkstatt in der Ruga degli Vivi und machte sich mit einer Gruppe Kaufleute auf den Weg nach Rom.
    Seine Aufgabe war klar: den Geleitbrief des Papstes an den Sultan zu übergeben. Damit waren Rom und Venedig Verbündete.
    ***
    »Heiliger Vater! Ihr habt mich rufen lassen?«
    »Ja, unser Bruder.« Der Kirchenfürst stand am Fenster und blickte hinunter in den Hof. Er beobachtete all die geschäftigen Lakaien, wie sie Bittgesuche entgegennahmen und Legaten vertrösteten, die um Zwiesprache mit dem Papst baten.
    »Ich will Euch loben«, begann er. »Nehmt Ihr doch Eure Aufgaben so voll Eifer wahr. Unsere Kirche verdankt Euch viel, Fresenius van Straaten …« Der Papst schnaufte hörbar. Ein massiger, fetter Mann, zu schwer für seine Größe, geschlagen mit vielerlei Gebrechen.
    »Ich danke Eurer Heiligkeit, aber … hörte ich so etwas wie Tadel …?«, schmeichelte der Nuntius.
    »Lieber Freund im Geiste! Tadel, wo denkt Ihr hin … Nein, nur Sorge. Sorge, dass Ihr Euch zu viel beladet mit Mühen. Mehr als ein Sterblicher zu schaffen vermag.«
    Der Kirchenfürst lächelte den Wallonen an. Fresenius van Straatens Menschenkenntnis war perfekt. Sehr wohl hatte er die vorsichtige Kritik des Kirchenfürsten gehört. Aber er fürchtete keinen Disput.
    Man erzählte sich so allerlei in Avignon. Halbwahrheiten, wohl eher Gerüchte: Seine Heiligkeit fröne der Völlerei. Alleine, in seinen Gemächern, stopfe er sich alle möglichen Sorten von Fleisch und Wildbret, ganz verschieden zubereitet, hinein, dazu Fische und mannigfaltige Meerestiere. Süße Leckereien aus bretonischem Honig, kleine Kuchen, die mit dem besonders kostbaren weißen Zucker bereitet waren. Brote aus Anis und Vanille. Dazu trinke er unglaubliche Mengen Bier und Wein. All dies verzehre er wenigstens zweimal am Tag. Andere Gerüchte besagten, dass ihm die Kraft zu denken langsam, aber stetig schwand. Gerüchte waren immer Geschichten.

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