Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
äußeren Schicht ein und schält den rundlichen Stängel, indem sie ihn von ihrem Maul wegzieht. Sie wiederholt das so lange, bis das helle, saftige Mark bloßgelegt ist. Knackend beißt sie kleine Stücke davon ab. Schälend und knabbernd vertilgt sie Staude um Staude.
Die Fressgeräusche wecken Kabirizis Interesse. Das helle Mark, das immer wieder zwischen Nsekuyes Fingern aufleuchtet, sieht verführerisch aus. Schließlich erhebt sich der Silberrücken und marschiert mit gemessenen Schritten auf das Weibchen zu. Sie ist nicht gerade erfreut über den Besuch ihres Patrons, kann das doch nur eines bedeuten: Ihre Mahlzeit ist beendet, und er wird sich gleich über den Rest der Doldengewächse hermachen. Der Versuch, Kabirizi zu ignorieren, scheitert. Der Gorillamann baut sich zur vollen Größe auf, drückt das Kreuz durch und hebt den Kopf. Unmissverständlich demonstriert er physische Überlegenheit. Gegen diese Körpermasse wirkt Nsekuye wie eine Puppe. Mit einer Grimasse, die Verärgerung ausdrückt, und gurgelnden Schimpflauten zieht sich das Weibchen zurück. Ihr Groll, dass sie ihr Mahl nicht beenden konnte, ist mindestens ebenso groß wie die Kränkung, die sie empfindet. Hatte der Gorillamann unbedingt die Hierarchie klarstellen müssen? Zwar achtet sie selbst auch darauf, dass kein unter ihr stehendes Familienmitglied an dieser Ordnung rüttelt, und weist jeden zurecht, der die Rangordnung ihrer Meinung nach missachtet. Aber wer teilt nicht lieber Rüffel aus, als selbst zurechtgewiesen zu werden?
Tage später frisst Kabirizis Familie wieder einmal gemütlich Brennnesseln. Die Blätter sind zart und gehaltvoll, aber wehrhaft, was der Silberrücken bereits in seiner Kindheit lernen musste. Fasst man sie ungeschickt an, verbrennen sie einem die Haut an den Fingern und, besonders schmerzhaft, an Lippen, Gaumen und Zunge. Kabirizi weiß, wie er die heikle Kost behandeln muss. Etwa im Alter von zwei Jahren machte er zum ersten Mal die Bekanntschaft mit Brennnesseln. Seine Mutter hatte ihn nicht darauf vorbereitet und auch nicht von jenem hinterlistigen Kraut weggezogen. Kabirizi hatte gesehen, wie sie die Blätter fraß. Es war die Zeit, in der er sich verstärkt für andere Nahrung als Muttermilch zu interessieren begann.
Also krabbelte er in Richtung der Pflanzen, deren gezähnte Blätter so lustig im Wind wippten. Mit seinen zarten Händen griff er nach ihnen. Sie aber wichen ihm unverschämt geschickt aus. Schließlich bekam er doch eines zu fassen. Es dauerte nur Sekunden, bis ihn der Schmerz durchzuckte. Erschrocken quietschte er und zog seine Hand zurück. Instinktiv nahm er seine Finger zwischen die Lippen. War das tatsächlich diese Pflanze, die ihm da so übel mitspielte? Ängstlich flüchtete er sich zu seiner Mutter, doch die hatte die ganze Zeit nur wie unbeteiligt zugesehen und stopfte sich weiter Pakete dieser gefährlichen Dinger in den Mund. Die Wärme ihres Bauches, die regelmäßigen Kaugeräusche und nicht zuletzt ein Schluck Muttermilch hatten Kabirizi schließlich beruhigt. Argwöhnisch blickte er immer wieder auf die bissigen Blätter. Er würde schon noch hinter ihr Geheimnis kommen. Vorerst übermannte den Gorillajungen das Bedürfnis nach einem ausgedehnten Schlaf. Es kostete ihn viele Versuche, viele Irrtümer und viele schmerzhafte Erfahrungen, bis er Herr über dieses arglistige Gewächs wurde. Aber es hatte sich gelohnt, standen doch beinahe überall diese zwar brennenden, aber nahrhaften Kräuter.
Geschickt umgreift Kabirizi mit hohler Hand einen der Triebe knapp oberhalb des Bodens. Dann streift er nach und nach die Blätter von unten nach oben ab und presst sie in seiner Hand zusammen. Mühsam und schmerzhaft hat er gelernt, dass sich Brennnesseln besonders an den Blattoberseiten und -rändern sowie in den Blattachseln gegen Fressfeinde gerüstet haben. Über die Handkante ragen nun die mit Brennhaaren bewaffneten Blattstiele. Mit seiner freien Hand greift der Gorilla die lästigen Stiele, führt mit den Unterarmen eine gegenläufige Rotationsbewegung aus und trennt die Stiele ab. Schließlich knüllt er die Blätter zusammen und formt mit einem weiteren Blatt, dessen Unterseite er sorgsam nach außen wendet, ein schmackhaftes Sandwich. Jetzt kann er sich die Nesselmahlzeit schmecken lassen. Findet er das geerntete Knäuel zu klein, sammelt er so lange weiter, bis ihm die Portion ausreichend erscheint. Zieht Kabirizi an einer Pflanze, deren Wurzeln in der lockeren Erde wenig
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