Der Gott von Tarot
welche, deren Glauben lautet, Ungläubige zu vernichten“, sagte Siltz. „Wir halten unser Dorf hier für sicher, aber für andere Dörfer können wir keine Verantwortung übernehmen. Wir werden Sie natürlich in den Grenzen unserer Möglichkeiten beschützen – aber es ist besser, in dieser Angelegenheit einig zu sein.“
„Ja, das schätze ich sehr.“ Traurig schüttelte Bruder Paul den Kopf. Ungläubige vernichten? Das klang für ihn nach fanatischem Mord. In was für ein Schlangennest hatte man ihn gebracht? Davor hatte ihn niemand gewarnt; offensichtlich wußten die Zuständigen auf der Erde nur wenig über die gesellschaftlichen Phänomene auf ihren Kolonien. Er konnte es sich nicht leisten, sich auf die mageren Informationen zu verlassen. „Aber wenn die meisten Sekten hier an einen christlichen Gott glauben – der auch der jüdische und mohammedanische ist, ob man ihn nun Jahwe oder Allah nennt – warum besteht dann das Bedürfnis, ihn näher zu spezifizieren?“
„Das ist genau die Frage, die ich auch schon zu beantworten versucht habe“, entgegnete Pfarrer Siltz. „Wir sind eine ungewöhnlich eifersüchtige, zusammengewürfelte Kultur, wir auf dem Planeten Tarot. Ihre Interpretation Gottes unterscheidet sich gewiß von meiner, und unsere beiden unterscheiden sich von der der atheistischen Kirche. Wer will behaupten, welche Sekte am wahrhaftigsten Gottes Willen widerspiegelt? Es muß unter uns eine Gruppe geben, die Gott lieber hat als die anderen, wenn Er auch die anderen um dieser einen willen toleriert – und diese eine müssen wir bestimmen. Vielleicht hat Gott uns das harte Winterklima bestimmt, um uns zu zwingen, uns ihm mehr zuzuwenden, wie der Gott der Juden ihnen den Mangel bescherte, um sie vom Irrweg abzubringen. Wir alle hängen von der Großzügigkeit des Baum des Lebens ab, und so müssen wir letztendlich den Baumgott verehren, auch wenn wir diesen Gott nicht mögen und vielleicht auch nicht die Sekte, die Gott auserwählt hat. Ob wir Ihn nun den Gott nennen oder auch nur einen von vielen, spielt kaum eine Rolle; wir müssen Ihn anreden, wie Er es diktiert. Und das werden wir auch tun. Aber zunächst müssen wir objektiv feststellen, wie wir uns am angemessensten diesem Gott nähern.“
Puh! Die Kolonisten nahmen die Angelegenheit viel ernster als die Wissenschaftler auf der Erde. „Das kann ich aber nun wirklich nicht leisten“, sagte Bruder Paul vorsichtig. „Für mich ist Gott alles; Er begünstigt keine einzelne Religionsgemeinschaft. In diesem Sinne ist der Heilige Orden der Vision auch keine Sekte; wir suchen lediglich nach der Wahrheit, die Gott ist, und wir meinen, daß die Form unwichtig ist. Während wir Jesus Christus als Sohn verehren, verehren wir ebenso Buddha, Zarathustra und die anderen großen religiösen Gestalten; eigentlich sind wir doch alle Kinder Gottes. Wir wollen also lediglich herausfinden, ob sich Gott überhaupt hier manifestiert; wir wollen ihn nicht kontrollieren und nicht annehmen, daß einer religiösen Sekte etwas unterschoben wird.“
„Gut gesagt! Aber ich denke, daß Gott das letzte Wort haben wird. Er wird Seinen Willen auf Seine Weise kundtun, und Sie werden – entsprechend der Meinung der Mehrheit der Kolonie, die ich in Frage stelle – diesen Willen reflektieren. Gott ist Macht; niemand von uns kommt dagegen an, noch würden wir das wollen.“
Bruder Paul war sich nicht sicher, ob er zwischen sich und dem Pfarrer eine fest Verständigungsgrundlage gebildet hatte, doch er fand die Diskussion anregend. Doch es war auch an der Zeit, mehr in die praktischen Details zu gehen. „Ich wüßte gern mehr über die räumlichen Gegebenheiten
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