Der Gott von Tarot
polterte über den Boden. Der Mann fiel herab, und seine Füße berührten ebenfalls den Boden. Er sah überrascht aus. Er öffnete den Mund, als wolle er schreien – und verschwand.
Zitternd blickte Bruder Paul auf die Stelle, an der die Münz-Vier gewesen war. Die Erscheinung war greifbar gewesen! Genau wie gestern die Symbole im Speisesaal. Es gab keinen Zweifel mehr: Der Glaube an ein Bild ließ es real werden. Glaube war der Schlüssel.
Bruder Paul steckte die Karten ein. Es war klar, daß er das auf den Karten Erblickte zum Leben erwecken konnte, und diese Konstrukte schienen ihn nicht körperlich zu bedrohen. Aber gab es wirklich eine darüber hinausgehende Bedeutung? Wenn dies einfach ein Kunstwerk war – dreidimensionale Bilder reproduzieren, aus Bildern Skulpturen produzieren –, dann war gewiß kein besonderer Gott im Spiel.
„Bruder Paul“, murmelte eine leise Stimme.
Wenn es kein Gott war – zumindest keiner, der die Animationen direkt kontrollierte –, dann war seine Aufgabe eine einfache. Er konnte das Problem für gelöst erklären und heimgehen. Aber sicher hätten sich die Kolonisten nicht vor den Animationen allein so gefürchtet, wenn es nur eine Kunstform wäre, jedenfalls nicht mehr, als sie sich vor den Vulkanen oder Tarotblasen fürchteten. Und was war der genaue Grund für diese Erscheinungen? Sein Wille kontrollierte ein bestimmtes Bild, aber irgend etwas anderes mußte es hier möglich machen, während es anderswo unmöglich blieb.
„Bruder Paul“, wiederholte die leise Stimme. „Kannst du mich erkennen?“
Er wußte, er mußte sehr vorsichtig vorgehen. Er glaubte an Gott, und das war der mächtigste und überzeugendste Glaube, die Erkenntnis dessen, was sein Leben vor acht Jahren verändert hatte. Aber er hatte niemals so getan, als könne er diesen Gott allzu genau definieren. Es war wichtig, daß seine Gedanken objektiv blieben und er nicht irgendeine Gottheit nach seinem eigenem Bilde schuf. Das war Pfarrer Siltz’ Sorge gewesen, und sie war berechtigt. Bei dieser Mission wie auch im Leben hieß sein Gott Wahrheit: die genaueste, objektivste und erklärbarste Wahrheit, die er überhaupt wahrnehmen konnte.
Wenn sich Gott selbst durch das Medium der Animation manifestieren sollte, würde Er sich gewiß auf Seine Weise zu erkennen geben. Unzweifelhaft aber auf Seine Weise, wie ihm bereits jemand nahegelegt hatte. Bruder Paul mußte sich lediglich bereit halten für diese transzendente Enthüllung, jene oberste Eingebung.
„Herr“, murmelte er, „laß mich auf der Suche nach Dir nicht selbst zum Narren werden.“ Aber er mußte sich schon vorwerfen: Das war ein selbstsüchtiges Gebet. Wenn es notwendig sein sollte, zum Narren zu werden, um Gott zu entdecken, dann wäre es das schon wert. War dies übrigens nicht der Charakter des Narren beim Tarot?
Seine Stunde lief ab. Wenn er über den gestrigen Punkt hinausgehen wollte, mußte er bald anfangen. Er zog die Karten wieder hervor und mischte sie, wobei er auf eine Inspiration wartete. Die Kleinen Arkanen reichten nicht aus. Sollte er eine Bildkarte beleben? Vielleicht einen König oder eine Königin?
Eine Gestalt erschien. Weiblich. Kam auf ihn zu. Aber er hatte keine weitere Animation versucht! Es sei denn …
Das war es. Er war die Folge der Schwerter durchgegangen, und da war die Acht: Eine gebeugte und verhüllte Frau in einem Wald starrender Schwerter. Das bedeutete eine schlechte Nachricht, eine Krise, Zwischenfälle. Er hatte sie unbewußt herbeigerufen. Jetzt mußte er aufpassen; er befand sich nun tief in der Animationsregion und erwarb durch die Praxis eine solche Fähigkeit, daß jede Karte, auf
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