Der Gottbettler: Roman (German Edition)
und dort einige Gedanken hervor und nährten sich von ihnen. Und das würden sie tun, solange er lebte. So lautete die Abmachung. Er war Nahrungsquelle für die Sibyllen, sie stellten ihm ihre Fähigkeiten bei der Eroberung des Weltenkreises zur Verfügung.
»Eine Woche also?«
»Ja. Ich warte auf Pirmen, Terca und dieses Geschöpf, das es nicht geben dürfte, doch das eine Sibylle geschaffen hat. Sie werden ihre Strafe erhalten. Danach geht das Leben weiter wie bisher.«
»Sie versprechen, sich auch um neue Heerführer zu kümmern?«
»Ja.«
»Sie bekommen diese Zeit. Sollte Ihr Plan nicht funktionieren, ändert sich alles. Dann stehen Sie allein da.«
»Tue ich das nicht immer?«
»Ich verstehe nicht …«
»Niemand versteht mich. Das ist mein Los.« Er dachte sich weg von dem Eiland, zurück in die Heimat, und fand sich nahe einer Güllegrube wieder, die eben von Abdeckknechten befüllt wurde. Ratten und andere Tiere huschten an ihm vorbei. Manch einer der Nager bedachte ihn mit gierigen Blicken. Sollten sie doch ihr Glück versuchen …
Der Gottbettler machte sich auf den Weg hinab zum Fluss. Dorthin, wo er zwischen Lumpen und Tierkadavern sein Sommerlager aufgeschlagen hatte, wo ihn die Welt und die Götter nicht mit ihren Problemen belästigen konnten.
18. Die Blume von Oriath
Wie waren sie entkommen, auf welchen Schleichwegen hatten sie die Stadt hinter sich gelassen? Pirmen wusste es nicht. Er war wie in Trance hinter der alten Vettel hergetrottet, hatte sich am Stummen Jungen festgehalten oder er sich an ihm. Sie hatten sich durch düstere Straßen bewegt und an dunklen Häusern vorbei, über Brücken und durch geheime unterirdische Gänge und schließlich über Stock und Stein, durch Täler und über Hügel, immer weiter weg von Haime, der Stadt, in der die Hoffnung auf eine Befreiung vom Gottbettler den Schwerthieben einer Horde von Barbaren zum Opfer gefallen war.
Nun saß er auf einer Schindmähre. Es regnete. Alles rings um ihn war grau in grau. Ihm war kalt, in seinem Schritt sammelte sich Wasser. Regen platschte auf breite Farnblätter, zog dort unzählige winzige Spuren, die sich vermengten und zu größeren Rinnsalen wurden. Unterhalb des bodennahen Blattwerks gab es heimtückische Schlammlöcher, in denen sich ein Pferd leicht die Fessel brechen konnte.
Platsch, platsch. Pirmens Pferd sank immer wieder bis zu den Fesseln im Erdreich ein. Es hatte den Weginstinkt eines Malekuften, nämlich gar keinen. Wenn die Stute feststeckte, musste er abspringen und sie mit Flehen, Fluchen, Ziehen, Schieben und Schlägen in die knöchrige Seite dazu bringen, Bein für Bein aus dem Schlamm zu heben und nach festem Stand zu tasten, bis sich das Vieh endlich wieder befreit hatte und weiterstakste.
Und das mit bloß einem Bein und einem Arm … Den Göttern sei Dank, dass ich meine magischen Kräfte immer besser in den Griff bekomme.
Irgendwo am Horizont zeigte sich ein winziger Fleck blauen Himmels. Doch dieser Ausblick war trügerisch, wie Pirmen nur zu gut wusste. Es war, als wollte der Regen das gesamte Land ertränken, bis sich die Blume von Oriath in einen riesigen See verwandelt hatte, eingerahmt von kahlen blauen Bergen, wo scheue und seltsame Völker beheimatet waren.
»Wie geht es dir?«
»Warum willst du das wissen, Alte?«, fauchte er.
»Es wird Zeit, dass wir über das Kommende reden.«
»Das Kommende? Du meinst, dass wir unseren Tod so gut wie möglich planen sollten. Damit wir auch etwas davon haben, wenn wir wie der Hohe Herr zerrissen und zerfetzt werden.«
»Das wird nicht geschehen.« Terca beugte sich zur Seite und ließ Wasser von ihrer Hutkrempe rinnen. »Ich werde das verhindern.«
»Du bist nicht sonderlich gut darin, etwas zu verhindern. Deine Stärke liegt eher darin, stets zu spät zu kommen.«
»Rudynar Pole war dumm und unvernünftig. Er hätte den Verlockungen widerstehen müssen. Wenigstens dieses eine Mal in seinem Leben.«
»Hat er aber nicht. Wir waren gewarnt. Du warst gewarnt. Und dennoch hast du ihn gehen lassen.«
Er war ungerecht, und er wusste es. Doch die Worte purzelten aus seinem Mund, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Es war zwanghaft. Er hasste jedes kleinste Element, das mit dieser Frau in Verbindung stand. Ihre Stimme, ihre Worte, ihr Tun. Wie sie ihre Dusus anwandte und wofür. Was ihresgleichen in der Vergangenheit auf der Welt angerichtet hatte. Ihre Glut, ihre Hitze. Ihr verführerisches Wissen – und, vor allem, dass ihn nun, da er
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