Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Rückkehrer hatten widerstandsfähige Getreidesorten mitgebracht und aus einer verödeten Landschaft ein Paradies gemacht, das das entstehende Königreich Oriath zur Gänze ernährt hatte.
Die geheimnisvollen Atarpen, dachte Terca. Sie sind ausgestorben, ihr Mythos ist geblieben. Wenn ich wollte, könnte ich ein klein wenig über sie erzählen. Aber es interessiert sich niemand für diese alten Geschichten. Wir sind zu dumm, um aus der Vergangenheit zu lernen. Selbst ich, die ich es besser wissen müsste, mache immer wieder die gleichen Fehler.
Sie ließen die Ebenen hinter sich, ritten tiefer ins Land. Gehöfte schmiegten sich hier und dort gegen den Fels. Die Felder waren bestellt, die Anwohner gaben sich beschäftigt. Sie verhielten sich so, wie man es von ihnen erwartete: Sobald sie der Reiter ansichtig wurden, scheuchte der Bauer seine Angehörigen in die zweifelhafte Sicherheit seines Hauses und bewaffnete sich mit einem Dreschflegel oder einem rostigen Schwert.
»Ich dachte, die Blume von Oriath wäre vom Geist des Gottbettlers durchdrungen?«, fragte Pirmen. »Hieß es nicht, hier herrsche ewiges Grau, und die Menschen würden ständig Trübsal blasen?«
»Ich wiederum habe gehört, dass die Männer Griams allesamt nur ein Bein, aber dafür drei Eier hätten. Und über die Barbaren der Norde sagte man mir, dass sie Nasenrotz spuckten, sobald sie den Mund aufmachten, und dass sie durch die Ohren atmen. Wie man sieht, sollte man nicht allzu viel auf Gerüchte geben.«
»Aber Larex …«
»Spukt dir dein Meister noch immer im Kopf herum? Verstehst du nicht, dass er dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit angelogen hat? Er hat dich manipuliert und zu seinem Geschöpf gemacht, zu einem Hündchen, das über den Tod hinaus noch immer auf ihn hört.«
Pirmen stieg ab und fuhr mit der Hand durch das reifende Korn. Es fühlte sich prall und fett an. Die Ernte würde ausgezeichnet werden. »Was, wenn der Gottbettler recht hat?«, überlegte er laut. »Was, wenn sein Weg der richtige ist? Es gibt so viel Krieg und Unglück auf dieser Welt. Wenn er und seine Heerscharen nun dies alles beenden könnten …«
»… dann wäre er alleiniger Machthaber. Er könnte nach Gutdünken herrschen. Vielleicht ist er ein gerechter Mann, der nur das Beste im Sinn hat. Was aber, wenn jemand in irgendeiner Hinsicht anderer Meinung ist als er? Wird sich der Gottbettler dann dessen Argumente anhören? Seine eigene Anschauung unter Umständen ändern? Und was ist, wenn ihn der andere nicht überzeugen kann und trotzdem auf seinem Standpunkt besteht? Gibt es irgendeine Instanz, die seine Entscheidungen kontrolliert? Nein, niemand darf derart viel Macht besitzen. Nicht einmal ein Gott.«
»Du hältst ihn also für ein Wesen, das über uns steht?«
»Ich habe eine ungefähre Ahnung, wer oder was er ist.«
»Würdest du mich dann bitteschön an deinen Weisheiten teilhaben lassen?«
»Später.«
»Es gibt kein Später. Unsere Zukunft ist bloß noch in Tagen bemessen. Ich möchte die Wahrheit wissen, bevor mir der Große Gleichmacher gegenübertritt.«
»Später«, wiederholte Terca bestimmt. »Ich will dich nicht noch mehr verletzen, Kleiner. Ich brauche dich im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte.«
Er ballte seine dreifingrige Hand zur Faust, dann machte er blitzschnell eine Bewegung in ihre Richtung. Etwas fuhr über sie hinweg, gefährlich, aber schlecht gezielt. Rasch errichtete sie ein Gedankennetz, das sie einhüllte und schützte, und warf ihm dann ihre Dusus entgegen.
Pirmen schrie erschreckt auf, verlor das Gleichgewicht und plumpste zu Boden. Sie hatte ihn an der Hüfte getroffen und ihm eine Verbrennung zugefügt. Da war die Versuchung, ihm noch mehr wehzutun und ihn weiter zu demütigen, doch sie zog ihre Hände zurück. »Steh auf und merk dir diese Lektion, Magicus. Du glaubst, stark genug zu sein, um mich in einem Zweikampf zu besiegen. Doch du bist noch längst nicht so weit, und es wird noch einige Tage dauern, bis du dich mir offen gegenüberstellen kannst. Bis dahin wirst du das tun, was ich sage. Verstanden?«
»Du bist …«
»Hast du mich verstanden?« Terca jagte ihre Dusus ein weiteres Mal über Pirmen und traf seinen Armstumpf.
»Ja!«, jaulte er. Er wälzte sich über den Boden, presste das Getreide platt. »Ja! Ja!« Immer wieder schrie er seine Zustimmung, bis die Worte ihre Bedeutung verloren und er nur noch irgendwelche Laute ausstieß. Sein Kopf brannte aus, wie Terca nur zu gut wusste.
Weitere Kostenlose Bücher