Der Gottbettler: Roman (German Edition)
war, wie er war, kein Weib mehr anschauen oder gar anfassen würde. Sie waren böse, allesamt.
»Lassen wir das.« Terca lenkte ihren Gaul an seinem vorbei und übernahm erneut die Führung.
Der Stumme Junge folgte, wie immer. Seit dem Tod Rudynar Poles in Haime verbarg er sein Gesicht nicht mehr. Es war blass, wirkte verhärmt und zeigte widerliche nässende Ekzeme.
»Komm, meine Hübsche«, sagte Pirmen zu seiner Stute und trieb ihr die Hacken in die Seiten. »Immer brav den anderen hinterher, so wie wir es gewohnt sind.«
Der Weg schlängelte sich durch Hügelland. Auf und ab, auf und ab. Im Grenzgebiet zwischen der Enklave Mayeur und der Blume von Oriath herrschte angespannte Stille, die selbst die Tierwelt erfasst hatte. Kein Adler krächzte, keine Ziege meckerte. Selbst die Insekten summten leiser als sonst.
»Die Welt hält den Atem an«, sagte Pirmen so laut, dass Terca es hörte.
»Unsinn!«
»Ach ja? Was ist das dann?« Er wedelte mit der Hand, deutete über Land und Berge und Himmel. »Woher kommt diese bedrückende Stille?«
»Es ist das Wetter. Es verleitet nicht unbedingt zum Tanzen oder Fröhlichsein.«
»Du weißt, dass ich recht habe!«, beharrte Pirmen. »Es gibt Mächte, die über uns wachen. Sie lassen uns spüren, dass sich das Gefüge im Weltenkreis verschiebt, und zwar nicht unbedingt zum Besseren. Dieser Trunkenbold, so widerlich er sich auch benahm, war wichtiger, als wir überhaupt ahnen konnten.«
»Ja, das ist richtig. Aber spar dir dieses Gerede von höheren Mächten. Das sind Ammenmärchen, die dir dein Meister eingeredet hat. Letztlich kommt es bloß auf uns an. Darauf, was wir aus unserem Leben und aus dieser Welt machen.«
»Du glaubst also nach wie vor, dass wir den Gottbettler besiegen können?«
»Selbstverständlich. Sonst wäre ich kaum auf dem Weg zu ihm.«
»Ich sage dir, warum du ihn suchst. Es ist diese verdammte Todessehnsucht in dir. Du hast ein schlechtes Gewissen wegen all der Fehler, die du begangen hast und deren letzter Rudynar Pole das Leben kostete. Du möchtest leiden, dafür, dass du zeit deines Lebens Scheiße gebaut hast!« Pirmen spuckte aus. Er dachte an Dinge, die er gern mit der Vettel angestellt hätte. An Foltermethoden aus der umfangreichen Bibliothek Larex’ zu diesem Thema.
»O ja«, sagte Terca bemerkenswert ruhig, »ich möchte gern erlöst werden. Aber nicht hier und nicht jetzt. Ich habe sehr wohl vor, die Auseinandersetzung mit dem Gottbettler zu überleben. Und ich würde es begrüßen, wenn du ebenso dächtest. Denn wir haben eine Chance! Glaub mir!«
»Und wie? Denk an die Prophezeiung deiner Schwester …«
»Pfeif auf die alte Schachtel! Meinst du etwa, wir Hexen würden immer unumstößliche Wahrheiten vorhersagen? Sie hat sich geirrt. Sie war ein seltsames Weib, nicht sonderlich vertrauenserweckend.«
Pirmen starrte Terca an. Manchmal wusste er nicht, ob er sie ernst nehmen oder für verrückt halten sollte. »Na schön«, sagte er dann müde. »Wie sieht dein Plan also aus?«
»Noch habe ich keinen.« Terca grinste. »Vorerst geht es darum, das zu wecken, was zweifelsohne in dem Stummen Jungen steckt. Rudynar Pole war auf einem guten Weg. Er hat es geschafft, ihn für kurze Zeit aus seiner Lethargie zu holen. Und dir, mein Lieber, würde ein klein wenig mehr Selbstvertrauen nicht schaden. Du musst an uns glauben.«
»Wenn es nur so leicht wäre.«
»Das Trübsalblasen ist vorbei, junger Mann. Von nun an erhältst du von mir ein paar Lektionen in Optimismus und Zuversicht. Und wage es ja nicht, mir den weiteren Tag mit deinem miesepetrigen Gesicht zu verderben, das Wetter ist schon schlecht genug.«
Allmählich zeigte sich, warum Oriath mit dem Beinamen »Blume« geschmückt wurde. Die häufigen Regengüsse brachten in den Sommer- und Herbstmonaten die Hochebenen des Landes zum Erblühen. Die gewaltigen Weiten waren von roten, blauen, violetten und gelben Farbtupfern überzogen, die, wenn man genau hinschaute, sogar einem gewissen Muster folgten.
Hier hatten sich vor unzähligen Generationen Felder befunden. Kornfelder, deren Grenzen auch heute noch vage zu erkennen waren und nach wie vor von derselben Straße zerschnitten wurden. Auf diesem Pfad waren einst jene wilden Horden geritten, die Aenas sowie die Norde erobert und Merce ihr heutiges Aussehen verliehen hatten. Irgendwann waren die Beutesuchenden müde und sesshaft geworden; sie hatten sich in fremden Ländern angesiedelt und sich mit Einheimischen vermengt.
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