Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Verstanden?«
»Ja, Heerführer.«
»Und sag ihnen, dass ich unzufrieden wäre. Sie hätten mich auf dem Ritt hierher im Stich gelassen. Sie müssten sich vor mir verantworten, sobald ich zurückkehre. Die Angst wird sie davon abhalten, sich um mein Schicksal zu kümmern.«
»Ja, Heerführer.«
Metcairn Nife ließ die Beine über den Abgrund baumeln. Mit einem Mal befiel ihn Angst. Die meist im Sitzen verbrachten Jahre hatten ihn steif gemacht. Er musste seine Kräfte sorgfältig einteilen.
Metcairn Nife stieg in die Wand und stieß sich ab. Das Seil war roh gedreht, aber es würde ihn sicherlich tragen. Er hangelte sich abwärts, machte an einem Knoten eine Verschnaufpause, kletterte bald weiter. Er hing nun frei, die Dunkelheit unter ihm erzeugte eine beunruhigende Sogwirkung.
Wo war das Haus dieses Weinhändlers? Er konnte es nicht entdecken. Müsste es nicht beleuchtet sein? Verdammt, wie war das möglich? Das Seil endete wenige Meter unter ihm, in der Leere.
Rechts von ihm. Ein Vorsprung, breit genug, um darauf Platz zu finden. Einige Dinge waren darauf abgelegt – zu schwer gewordene Bekleidungsstücke, ein Schwert, Rüstungsteile. Entlang des Vorsprungs war ein Halteseil im Fels verankert.
Er holte mehrmals Schwung, und beim dritten Mal gelang es ihm, das Halteseil zu erhaschen. Er ließ das andere los, und es war ihm klar, dass er es nicht mehr würde erreichen können. Für Pae Loriander gab es im Kampf nur eine Richtung: nach vorn. Sie setzte sich immer wieder den unmöglichsten Risiken aus, um dann doch alle Gefahren zu meistern. Sie riskierte viel, doch in der Achtung ihrer Untergebenen stieg und stieg sie dadurch. Metcairn Nife gab sich keinen Illusionen hin: Die Linke war im Heer des Gottbettlers trotz ihrer Rohheit weitaus beliebter als Marmer Dunne oder er selbst.
Er folgte dem Halteseil. Der Boden, nicht breiter als zwei Fuß, war zum Abgrund hin abschüssig. Immer wieder rieselten Steinchen über die Kante und in die Tiefe.
Er stockte vor Schreck und vor Überraschung. Er hatte das Haus des Weinhändlers gefunden – es hing über ihm in einem Netz verfangen. In einem Netz, in dem sich acht bis zehn Gestalten völlig lautlos bewegten. Der Angriff hatte begonnen. Metcairn Nife würde den Sprung in die Leere wagen müssen, wollte er in die Vertäuung des Netzes gelangen, über etwa zwei Körperlängen hinweg.
Er dachte nicht nach, er handelte einfach. Er ging in die Hocke, stieß sich mit aller Kraft ab, machte seinen Körper so lang wie möglich und griff nach einem der Seile.
Panik befiel ihn, als er fühlte, wie ihn das Schwert der Hoffnung in die Tiefe zog, diese monströse Waffe, deren Gewicht er sträflich unterschätzt hatte. Er fühlte die Berührung eines Taus am Handgelenk, schnappte rasch mit den Fingern zu, fand Halt und baumelte dann über dem Abgrund. Er nutzte den Schwung des eigenen Körpers, griff mit der anderen Hand zu und zog die Beine so weit wie möglich hoch, um sie um ein weiteres Seil zu schlingen. Vidal hing weit nach unten, nur vom einfachen Ledergurt gehalten. Doch er machte sich keine Sorgen um das Schwert, es würde ihn niemals verlassen.
»Heerführer?« Ein gewispertes Wort, voll Erstaunen und vielleicht mit ein klein wenig Ärger ausgesprochen.
»Ja, Pae.« Metcairn Nife schwang sich ins Netz und hangelte sich Richtung Haus, auf die Wartenden zu. »Mir ist die Decke des Zelts auf den Kopf gefallen.« Je näher er dem Gebäude kam, desto stärker wurden die Schwingungen, die womöglich die Wachen auf den Plan rufen würden.
»Nun gut. Wir können ein Schwert mehr gut brauchen.« Pae Loriander glitt an seine Seite und drückte ihm die Schulter.
Sie sagte kein Wort davon, dass er eine Behinderung bei ihrer Waffenarbeit sein mochte, und er war ihr dankbar dafür. Es hätte ihr durchaus zugestanden, ihn zurückzuschicken. Sie hatte das Kommando und trug die Verantwortung, so war es vereinbart. Er selbst hatte diese Regeln aufgestellt, und so konnte er sie schlecht auf einmal ändern.
Pae Loriander blickte in den Himmel. Bloß ein kleines Segment des Firmaments war von hier aus zu erkennen, ein Ausschnitt, der Metcairn Nife das beruhigende Gefühl gab, diese Welt noch nicht verlassen zu haben. Denn die Enge des Spalts einerseits und andererseits der drohende Abgrund unter ihm machten, dass er sich so unwohl wie selten zuvor fühlte. Er war die Weiten des Landes gewöhnt, uneingeschränkte Bewegungsfreiheit.
Der Schein einer Fackel flackerte dort oben auf.
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