Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
beherrschst, Yared, spiel es gegen die Könige von Kastilien, Aragón und Portugal. Hilf Muhammad in seiner Not, so wie er dir geholfen hat. Sein Leben ist in Gefahr. Hilf ihm, seinen Thron zurückzugewinnen. Entsende deine Mamelucken nach Gharnata, um den, der ihn gestürzt hat, zu vertreiben. Um Gottes willen, rede mit Juan von Kastilien, der dich immer noch sehr schätzt. Und mit dem König von Portugal – Dom Henrique rüstet eine Flotte schwer bewaffneter Karavellen aus, wie für einen Kreuzzug! Yared, ich war erst vor wenigen Wochen beim König in Lissabon und beim Infanten in Tomar, dem Hauptquartier des Christusordens, und ich befürchte das Allerschlimmste!
    Wenn Gharnata durch Kastilien erobert wird, werden die Juden und die Muslime das Schicksal derer von Sevilla und Córdoba erleiden.« Er blickt zu Benyamin hinüber, der vor der Inquisition aus Sevilla geflohen ist. Dann wendet er sich wieder mir zu. »Yared, ich bitte dich«, beschwört er mich. »Komm zurück nach Gharnata!«
    In Benyamins Augen schimmern Tränen, als er den Blick abwendet.
    Als ich nichts erwidere, erhebt sich Aron.
    »Muhammad bereut aus tiefstem Herzen, was er dir angetan hat. Er reicht dir die Hand zur Versöhnung und fleht dich an, sie nicht auszuschlagen.« Er streckt mir seine Hand entgegen und wartet darauf, dass ich sie ergreife. »Yared, kannst du ihm denn nicht nach all den Jahren eine Schuld vergeben, die er sich selbst nie verziehen hat?«

· Alessandra ·
Kapitel 21
    Auf dem Dach der Grabeskirche
    16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
    Karfreitag, 26. März 1445
    Zehn Uhr morgens

    Gebre Christos geleitet mich auf das Dach der Grabeskirche. Dies sei der einzige Weg in sein Kloster, keucht er atemlos, denn in der allerheiligsten Basilika der Christenheit würden alle Konfessionen eifersüchtig über ihre Gottesdienstzeiten, Kapellen und Treppen wachen. Am Palmsonntag habe es sogar eine Schlägerei zwischen den Kopten und den Griechen gegeben, weil die ägyptischen Mönche, die hinter dem Heiligen Grab ihre Messe feiern, durch ihren Gesang den Gottesdienst der byzantinischen Priester vor dem Grab Jesu störten. An Weihnachten sei die Stimmung besonders gereizt gewesen. Die Franziskaner hatten vergessen, ihre ›katholischen Wunderkerzen‹ zu löschen, als die Orthodoxen ihre heilige Liturgie feiern wollten. Sie schlugen aufeinander ein, Katholiken und Orthodoxe, Flüche wie ›Schismatiker‹, ›Häretiker‹ und ›Hostienschänder‹ flogen hin und her, und ein Äthiopier geriet zwischen die Fronten, als er vermitteln wollte – es gab einen Toten und drei Schwerverletzte. Der äthiopische Mönch starb noch in der Heiligen Nacht.
    »So viel zur Einigkeit der christlichen Kirchen«, murmelt Gebre Christos bitter und rät mir mit beißendem Zynismus, während wir über einen hölzernen Steg auf die Dachterrasse des benachbarten Franziskanerklosters klettern, keinen Katholiken auf orthodoxem Hoheitsgebiet anzusprechen und mich von dunklen Kapellen fernzuhalten, in denen syrische Mönche mit Kreuzen und schweren Kerzenleuchtern lauern.
    Über eine steile Treppe, die ich dem alten Abt hinunterhelfen muss, gelangen wir in einen Garten mit Feigen- und Granatapfelbäumen hinter der Basilika. Nur das Gezwitscher von Schwalben durchbricht die Stille – vom Stimmengewirr der Grabeskirche und der nahen Via Dolorosa ist nichts zu hören. Die schlichten Steinhäuser, die diesen kleinen Garten Eden wie einen Kreuzgang säumen, bilden das äthiopische Kloster.
    Mit seinem zerzausten Fliegenwedel weist Gebre Christos auf die Mönche, die auf Schemeln hocken und in den Evangelien lesen. »Sie schweigen während der Karwoche, weil Judas unseren Herrn Iyasus Christos durch ein Wort und einen Kuss verraten hat. Die ersten Worte, die sie nach der Osternacht sagen werden, lauten: ›Christos ist auferstanden. Wahrlich, er ist auferstanden.‹«
    »Welch tiefe Frömmigkeit. Es tut mir leid, dass ich dein Schweigen gestört habe, Abuna. Vielleicht ist es besser, wenn ich wieder gehe und dich nach dem Fasikafest besuche.«
    »Nein, Alessandra, ich bitte dich. Du sagtest, du hättest Fragen, die ich beantworten kann. Das will ich gern tun.« Mit seinem Fliegenwedel fuchtelt er in Richtung der Mönche. »Du hältst uns für exotisch, nicht wahr?«
    »Das äthiopische Christentum ist sehr … Wie soll ich sagen … jüdisch. Ihr beschneidet eure Söhne am achten Tag, ehrt den Sabbat wie den Sonntag, beachtet Reinheits- und Speisevorschriften,

Weitere Kostenlose Bücher