Der Gottesschrein
ausrichten, wenn ich in einigen Tagen nach Rom zurückkehre.«
»So bald schon? Ich hatte gehofft, du würdest einige Wochen bleiben, und wir könnten uns unterhalten, wie damals in Florenz.«
»Das werden wir, Abuna. Ich habe tausendundeine Frage.«
»Bald wird Prinz Solomon, der Neffe des Kaisers, in Jerusalem eintreffen. Ich werde ihn und sein Gefolge zu seiner Residenz auf dem Berg Zion geleiten. Aber bis dahin haben wir noch ein wenig Zeit. Was hältst du davon, wenn du mich in meine Gemächer begleitest und ich dir während der Kaffeezeremonie deine Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantworte?«
»Sehr gern.« Ich reiche ihm meinen Arm, und er hakt sich bei mir unter.
»Weiß Patriarch Joachim, dass du in Jerusalem bist?«, fragt er, während wir langsam eine Treppe emporsteigen, die auf das Dach der Basilika führt.
»Nein.«
»Für euer beider Seelenfrieden ist das auch besser so.« Er ist ein wenig außer Atem und klammert sich an meinen Arm. »Er wird noch immer zornig, wenn Niketas IV . Evangelos von Athen in seiner Gegenwart erwähnt wird.«
»Ich weiß, Abuna. Du kennst doch den Brief, den er mir nach Niketas’ Tod geschrieben hat. Seine Worte sollten mich nicht trösten, so wie du mich damals in meiner Trauer getröstet hast. Der brillanteste Theologe von Byzanz, so schrieb er mir, sei zum größten aller Häretiker geworden. Er, der Patriarch von Jerusalem, schäme sich für seinen Bruder in Christo, den Metropoliten von Athen. Sein Tod sei die gerechte Strafe Gottes für einen Judas, der Jesus Christus nicht für dreißig Silberlinge, sondern für einen Fetzen Purpurseide verraten hat.«
»Es tut mir so leid, mein Kind! Solche Worte reißen Wunden, die nur schwer verheilen.« Tröstend legt er seine Hand auf meine. »Warum bist du trotzdem nach Jerusalem gekommen?«
· Yared ·
Kapitel 20
In Yareds Arbeitszimmer in der Zitadelle
16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
Karfreitag, 26. März 1445
Zehn Uhr morgens
»Harun Abu Tarik Ibn Ezra, Gesandter des Sultans Muhammad IX . von Gharnata«, kündigt Benyamin sehr förmlich und, wie mir scheint, beunruhigt den Botschafter an, der nun mein Arbeitszimmer betritt.
Harun, der einen silbernen Brustpanzer und einen mit einem weißen Turban geschmückten Helm mit Nasenschutz trägt, nähert sich langsam meinem Schreibtisch und bleibt mit respektvoll gesenktem Blick einen Fußbreit vor dem Rand des Teppichs stehen.
Wie ein Bittsteller!, denke ich. Was ist in Gharnata denn bloß geschehen?
»Aron Ibn Ezra«, spreche ich ihn mit seinem jüdischen Namen an. »Wie schön, dich nach all den Jahren wiederzusehen, Aron!«
Er blickt auf, augenscheinlich erleichtert über den freundlichen Empfang.
»Danke, Yared … Emir.« Ein Lächeln huscht über seine angespannten Gesichtszüge. »Meine herzlichen Glückwünsche zu deiner Hadj nach Mekka, Medinat an-Nabi und Al-Quds. Möge Allah dich segnen und dir Frieden schenken!«
»Danke, Aron. Möge er dir dieselbe Gunst gewähren!«
»Vor elf Tagen war ich bei Sultan Jaqmaq. Er hat mir von deiner Hadj berichtet. Er schien glücklich zu sein, dass du dich endlich entschlossen hast, Muslim zu werden. Er erwähnte deine bevorstehende Hochzeit mit Prinzessin Jadiya, für die wohl schon die ersten Vorbereitungen getroffen werden – der Sultan rechnet mit deiner Rückkehr während der nächsten Wochen. Ich freue mich für dich, Yared. Von ganzem Herzen. Das wäre die Krönung deines Aufstiegs. Vom Sklaven … bitte verzeih, wenn ich dich in der Stunde deines Triumphs an jene furchtbaren Jahre erinnere! … Vom Sklaven zum mächtigsten Mann des Reiches, einem Prinzen von Ägypten.«
Offenbar will er möglichst rasch auf seinen Auftrag zu sprechen kommen. Doch ich bin noch nicht bereit dazu und schneide zunächst ein harmloseres Thema an, denn es ist taktlos, die Verhandlungen so schnell zu beginnen. »Du bist seit Wochen unterwegs. Bestimmt vermisst du deine Familie.«
»Und wie!«, gesteht er mit einem tiefen Seufzer. »Es ist sehr freundlich von dir, dich nach meinen Liebsten zu erkundigen.«
»Harun Abu Tarik – Vater von Tarik? Du hast einen Sohn, Aron?«
»Fünf Söhne, Yared, und vier Töchter«, verkündet er stolz.
»Die Erkenntnis, dass es ›keinen Sieger gibt außer Allah‹«, zitiere ich den Wahlspruch der Dynastie der Nasriden, »hat dir offenbar Glück beschert.«
»Ja, Allah ist mir gewogen – mehr, als Jahwe es jemals war. Ich habe eine Cousine von Sultan Muhammad geheiratet. Ich
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