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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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später als in der Mitte des 20. Jahrhunderts schrieb. Tatsächlich erschien es 1941.
    Geht man noch einmal vier Jahrzehnte zurück, ist der Wandel der Maßstäbe nicht mehr zu übersehen. In einem früheren Buch (A Devil’s Chaplain) habe ich H.G. Wells’ utopische New Republic zitiert, und ich möchte es jetzt noch einmal tun, weil dieser Essay meine Aussage auf so schockierende Weise verdeutlicht.

    Und wie wird die Neue Republik die niederen Rassen behandeln? Wie wird sie mit den Schwarzen umgehen? … mit dem gelben Mann? … dem Juden? … diesen Schwärmen von schwarzen, braunen, schmutzig weißen und gelben Menschen, die nicht der neuen Notwendigkeit der Effizienz entsprechen? Nun ja, die Welt ist eine Welt und keine mildtätige Institution, und ich glaube, sie werden gehen müssen. […] Und das ethische System dieser Menschen der Neuen Republik, das ethische System, welches den Weltstaat beherrschen wird, wird so gestaltet sein, dass es vorwiegend die Fortpflanzung dessen begünstigt, was in der Menschheit gut, effizient und schön ist – schöne, kräftige Körper, klares, leistungsfähiges Denken. […] Und die Methode, nach welcher die Natur bisher bei der Gestaltung der Welt vorgegangen ist, mit der verhindert wurde, dass Schwäche wiederum Schwäche hervorbringt, […] ist der Tod. […] Die Menschen der Neuen Republik […] werden ein Ideal haben, welches das Töten lohnend macht. 116

    Diese Worte wurden 1901 geschrieben, und Wells galt zu seiner Zeit als fortschrittlich. Auch 1901 waren solche Ansichten vielleicht nicht allgemein anerkannt, aber bei Diskussionen in besseren Kreisen galten sie als durchaus akzeptabel. Der heutige Leser dagegen keucht buchstäblich vor Entsetzen, wenn er diese Zeilen liest. Eines müssen wir uns klarmachen: So entsetzlich Hitler auch war, er stand nicht so weit außerhalb des Zeitgeistes seiner Epoche, wie es aus heutiger Sicht den Anschein hat. Wie schnell sich doch der Zeitgeist wandelt – und das zur gleichen Zeit auf breiter Front in der gesamten gebildeten Menschheit!
    Wie kommt es nun zu diesen gleichzeitigen, stetigen Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein? Es ist nicht an mir, diese Frage zu beantworten. In meinem Zusammenhang reicht die Erkenntnis, dass die Ursache sicher nicht in der Religion liegt. Würde man mich zwingen, eine Theorie zu vertreten, so würde ich dies in dem folgenden Rahmen versuchen: Wir müssen erklären, warum der Wandel des ethischen Zeitgeistes bei einer so großen Zahl von Menschen im Wesentlichen gleichzeitig stattfindet; und wir müssen erklären, warum er in einer relativ einheitlichen Richtung verläuft.
    Erstens: Wie wird die Gleichzeitigkeit bei so vielen Menschen erreicht? Der Wandel verbreitet sich von einem Kopf zum nächsten – durch Gespräche in Kneipen und auf Partys, durch Bücher und Buchrezensionen, Zeitungen und Rundfunk, und heute auch über das Internet. Ein Wandel des moralischen Klimas kündigt sich in Leitartikeln an, in Fernseh-Talkshows, politischen Reden, im Geplapper von Komikern und in den Drehbüchern von Fernsehserien, in Parlamentsabstimmungen zur Verabschiedung neuer Gesetze und in den Entscheidungen der Richter, die diese Gesetze interpretieren. Man könnte auch sagen, dass sich die Memhäufigkeiten im Mempool verändern, aber diesen Gedanken möchte ich hier nicht weiter verfolgen.
    Manche Menschen bleiben hinter der fortschreitenden Welle des wechselnden ethischen Zeitgeistes zurück, andere sind ihr ein wenig voraus. Aber im 21. Jahrhundert sind die meisten von uns einander viel näher, und wir sind den Menschen aus dem Mittelalter, aus der Zeit Abrahams und noch aus den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts weit voraus. Die ganze Welle bewegt sich immer weiter, und selbst der Vorreiter aus einem früheren Jahrhundert (ein nahehegendes Beispiel wäre T.H. Huxley) würde sich hundert Jahre später bei den Nachzüglern wiederfinden. Natürlich ist der Fortschritt kein ständiges Bergauf, sondern ein wechselndes Auf und Ab. Es gibt regional und zeitlich begrenzte Rückschläge – wie in den Vereinigten Staaten, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter ihrer Regierung zu leiden haben. Betrachtet man jedoch einen längeren Zeitrahmen, so ist der Fortschrittstrend unverkennbar, und er wird sich fortsetzen.
    Was treibt ihn in diese einheitliche Richtung? Man darf nicht übersehen, welch treibende Kraft einzelne Gestalten darstellen, die ihrer Zeit voraus sind, sich bemerkbar machen und uns

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