Der Gotteswahn
der Biologie die Illusion der gezielten Gestaltung und lehren uns, auch in der Physik und Kosmologie gegenüber jeder Gestaltungshypothese misstrauisch zu sein. Daran dachte nach meiner Überzeugung auch der Physiker Leonard Susskind, als er schrieb: »Ich bin kein Historiker, aber ich wage es dennoch, eine Meinung zu äußern: Die moderne Kosmologie begann eigentlich mit Darwin und Wallace. Im Gegensatz zu allen anderen vor ihnen lieferten sie für unser Dasein eine Erklärung, die übernatürliche Kräfte völlig ablehnte. […] Darwin und Wallace setzten nicht nur für die Biologie einen Maßstab, sondern auch für die Kosmologie.« 64 Andere Physiker, die eine solche Bewusstseinserweiterung schon lange nicht mehr nötig haben, sind Victor Stenger, dessen Buch Has Science Found God? (»Hat die Wissenschaft Gott gefunden?«) ich sehr empfehlen kann (die Antwort lautet nein), und Peter Atkins, dessen Werk Creation Revisited (»Ein zweiter Blick auf die Schöpfung«) mein Lieblingsbuch mit poetischer naturwissenschaftlicher Prosa ist. [21]
Erstaunt bin ich immer wieder über Theisten, die ihr Bewusstsein keineswegs auf die von mir vorgeschlagene Weise erweitert haben, sondern die natürliche Selektion als »Gottes Methode, seine Schöpfung zu bewerkstelligen«, bejubeln. Sie erkennen an, dass die Evolution durch natürliche Selektion ein sehr einfacher, ordentlicher Weg ist, auf dem eine ganze Welt voller Leben entstehen kann. Gott braucht dabei eigentlich überhaupt nichts mehr zu tun! Diesen Gedankengang führt Peter Atkins in dem gerade erwähnten Buch zu einer plausiblen, gottlosen Schlussfolgerung: Er postuliert einen hypothetischen, faulen Gott, der mit möglichst wenig Anstrengung ein Universum voller Leben erschaffen will. Atkins’ Gott ist sogar noch fauler als der deistische Gott der Aufklärer aus dem 18. Jahrhundert: deus otiosus – ganz buchstäblich ein Freizeitgott, unbeschäftigt, arbeitslos, überflüssig, nutzlos. Schritt für Schritt gelingt es Atkins, die Arbeitsbelastung des faulen Gottes immer weiter zu verringern, bis er am Ende nichts mehr zu tun hat: Ebenso gut könnte er überhaupt nicht existieren. Mir ist noch lebhaft Woody Allens scharfsinniges Gejammer in Erinnerung: »Wenn sich herausstellt, dass es einen Gott gibt, glaube ich nicht, dass er böse ist. Aber das Schlimmste, was man über Gott sagen kann, ist, dass er so wenig aus seinem Talent gemacht hat.«
Nicht reduzierbare Komplexität
Man kann die Größe des Problems kaum übertreiben, das Darwin und Wallace gelöst haben. Als Beispiele könnte ich die Anatomie, Zellstruktur, Biochemie und Verhaltensweisen buchstäblich aller Lebewesen nennen. Die auffälligsten scheinbar gestalteten Merkmale sind allerdings diejenigen, die sich kreationistische Autoren aus nahehegenden Gründen herauspicken, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich mein Beispiel aus einem kreationistischen Buch entnommen habe. Life – How Did It Get Here? (Das Leben – wie ist es entstanden?) nennt keinen Autor, wird aber von der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft verlegt. Weltweit erscheint es in sechzehn Sprachen und mit einer Auflage von elf Millionen Exemplaren. Es ist also offensichtlich sehr beliebt: Nicht weniger als sechs dieser elf Millionen Exemplare wurden mir unaufgefordert und kostenlos von wohlmeinenden Menschen aus der ganzen Welt zugeschickt.
Schlagen wir zufällig eine Seite dieses anonymen, freigebig verbreiteten Werkes auf, so finden wir einen Schwamm, der unter dem Namen Gießkannenschwamm oder Venusblumenkorb (Euplectella) bekannt ist, und daneben steht ein Zitat von keinem Geringeren als Sir David Attenborough: »Wenn man ein so kompliziertes Gebilde aus Kieselsäurenadeln […] betrachtet, ist man verwirrt. Wie können Zellen, die annähernd selbstständig und mikroskopisch klein sind, zusammenarbeiten, um eine Million glasartiger Nadeln abzusondern und ein so kompliziertes und schönes Gitterwerk zu erzeugen? Wir wissen es nicht.« Und dann fügen die Wachtturm-Autoren eilig ihre eigene Pointe an: »Eines wissen wir aber mit Sicherheit: Der Zufall war hier kaum am Werk.« Stimmt, der Zufall war tatsächlich nicht am Werk. In diesem Punkt sind wir uns alle einig.
Die statistische Unwahrscheinlichkeit von Phänomenen wie dem Euplectella- Skelett ist das zentrale Problem, das jede Theorie des Lebendigen lösen muss. Je geringer die Wahrscheinlichkeit, desto weniger plausibel ist der Zufall als Lösung – nichts
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