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Der Grabritter (German Edition)

Der Grabritter (German Edition)

Titel: Der Grabritter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Lierss
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was sie sagte. Nie im Leben hatte er ein solches Naturschauspiel gesehen. Er war vollkommen fasziniert. Selbst Ramon blickte voller Ehrfurcht hinunter in die Schlucht und bekreuzigte sich. Kerner bewegte seinen Kopf ganz nahe zu Bice herüber und fragte schreiend. »Was ist das hier?« Bice schrie zurück. »Das ist die Via Mala . Der böse Weg, so nennen ihn die Einheimischen. Es ist ein uralter Handelsweg über die Schlucht. Jahrzehntelang wurde er auch von Schmugglern genutzt. Viele Menschen haben hier ihr Leben verloren. Die meisten durch einen schrecklichen Unfall. Manche aber auch weil sie hier umgebracht wurden. Die Schlucht gibt nichts wieder her, was sie einmal verschlungen hat.« Eine ganze Weile standen die drei einfach nur da und betrachteten die ungeheure Gewalt der Natur und hörten wie der tosende Donner ihnen eindringlich klarmachte, wer letztendlich die Geschicke dieser Erde bestimmte.
     
    Ramon trat einen Schritt zurück und sah besorgt nach oben. Er gab Kerner und Bice ein Zeichen. Ein Blitz zuckte am Himmel, gefolgt von einem zweiten. Innerhalb von Minuten konnte hier in den Bergen ein Gewitter aufziehen. Sie mussten sofort den Rückweg antreten. Ein Abstieg bei einem Gewitter wäre nicht mehr nur gefährlich, es grenzte an Selbstmord. Ramon ging als Erster und drängte zur Eile. Dauernd sah er sich nach der Contessa um und achtete darauf, dass sie dem Abgrund nicht zu nahe kam. Die Wolken am Himmel wurden von Minute zu Minute dunkler. Dann setzte der Regen ein.
    Im Nu verwandelte sich der schmale, steile Pfad unter ihnen, der schon bei trockenen Verhältnissen schwer zu begehen war, in eine Rutschbahn. Auch Kerner machte sich nun ernsthaft Sorgen. Keine Sekunde ließ er Bice aus den Augen. Ein greller Blitz zuckte durch die Wolken, die jetzt fast schwarz geworden waren. Kurz darauf ließ ein gewaltiger Donner das ganze Felsmassiv erzittern. Im gleichen Moment passierte es. Bice verlor den Halt und rutschte aus. Ramon, der es nur aus den Augenwinkeln sehen konnte, wollte nach ihr greifen. Zu spät. Bice glitt durch seine Hände und konnte sich an dem steilen Abhang nicht mehr halten. Mit einem gewaltigen Sprung flog Kerner auf Ramon zu. »Festhalten!«, brüllte er. Dann landete er auch schon auf dem Boden. Mit seiner linken Hand bekam er den Unterarm von Bice gerade noch zu fassen. Sein rechter Arm umklammerte Ramons Bein. Ramon, der es gerade noch geschafft hatte, einen Ast zu ergreifen, der an der Seite aus einer Felsspalte herausragte, rutschte langsam immer weiter herunter. Unter der Last, die an ihm hing, bog sich der Ast immer stärker. Kerner drehte den Kopf und sah unter sich das Gesicht von Bice. Sie versuchte mit den Füßen einen Halt zu finden, aber dort war nicht der kleinste Vorsprung.
     
    Ramon schrie. »Baranow, tun Sie was. Der Ast hält das Gewicht nicht mehr.« Kerner schloss für einen Moment die Augen. Dann spannte sich sein ganzer Körper. Mit schier unmenschlicher Anstrengung zog er Bice Zentimeter für Zentimeter in die Höhe. Wie ein lebendiges Tier bewegte sich der mächtige Bizeps unter dem engen Pullover und schwoll dabei mehr und mehr an. Ramon hielt den Atem an. Er streckte eine Hand aus. Ein paar Millimeter noch. Mit ihrer freien Hand griff Bice die von Ramon. Ein letztes Aufbieten aller Kräfte, ein letzter Ruck dann hatten sie es geschafft. Der Ast über Ramon brach krachend weg. Völlig erschöpft fielen alle drei auf den schmalen Pfad. Minutenlang lagen sie fast regungslos da und der Regen prasselte auf sie nieder. Kerner spürte ihn nicht. Immer noch vollkommen atemlos rutschte er zu Bice.
    Ihre Blicke sagten alles, was man mit Worten nicht sagen konnte. Sie umfasste Kerners Nacken und zog ihn zu sich heran. Dann küsste sie ihn lange und innig. Kerner nahm sie in den Arm und spürte ihren weichen Körper. In diesem Moment wusste er, dass er sich unsterblich in diese Frau verliebt hatte. Was immer es auch für Probleme mit sich bringen würde, und das würde es, ... er konnte nichts mehr dagegen tun. R amon hatte sich mittlerweile hochgerappelt. Er lehnte an der Felswand und sah den b eiden fassungslos zu. Wieder einmal schlug er sich auf den Kopf und blickte hoch zum Himmel. »Madonna.« Es war das Einzige, was ihm zu dieser Geschichte noch einfiel.
    Nach einer halben Ewigkeit hatten sie es endlich geschafft, das Plateau wieder zu erreichen, wo ihnen Pepe in heller Aufregung entgegengelaufen kam. »Dem Himmel sei Dank«, sprudelte es aus ihm heraus. »Ich

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