Der Grabritter (German Edition)
Italienerin, Victor. Wir haben schon von der Wiege an ein besonderes Verhältnis zu Gott. Vielleicht sind wir ihm hier ein Stückchen näher als anderswo. Na ja, … vielleicht nicht alle Italiener. Fang also besser keine Diskussion mit meinem Vater darüber an und schon gar nicht mit meinem Bruder. Sie sind keine schlechten Menschen, doch an Gott glauben sie sicher nicht. Sie sind in erster Linie Geschäftsleute. Sie tun, was sie tun müssen, um Erfolg zu haben. Sonst kann man wohl dort, wo sie stehen, nicht existieren. Sie glauben und, gemessen an ihrem Erfolg vielleicht nicht ganz zu Unrecht, an sich und die Macht ihres Willens. Einem Willen, der, wenn er stark genug ist, manchmal ebenfalls Berge versetzen kann.«
Bice lachte wieder. »Na das sind ja tiefgründige Fragen, die du mir da stellst. Schön, jetzt weißt Du es und kannst mich meinetwegen für furchtbar naiv halten. Auch wenn vieles dagegen spricht und in dieser Welt oft Dinge geschehen, die daran zweifeln lassen aber wenn es Gott nicht gibt dann ist es wohl schlecht um uns bestellt.« Kerner sah Bice einen Moment lang schweigend an. »Der See ist wunderschön, Bice. Ich genieße es, hier mit dir zu stehen. Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich auf den Moment gefreut habe, dich wiederzusehen? Seit unserer Begegnung in der Galerie habe ich oft an dich gedacht. Ich versuchte mir vorzustellen, was du tust und wie du lebst.« In Bice‘s Augen trat ein seltsamer Glanz. »Und was denkst du, wie ich lebe?« Kerner sah sich vielsagend an Bord des Schiffes um. »Jedenfalls nicht schlecht«, antwortete er lachend. »Ich habe auch an dich gedacht, Victor und ehrlich gesagt … es hatte nicht nur mit Bildern und Geschäften zu tun. Weißt Du, eine Vigiani zu sein bedeutet hier, dass einen alle Leute hofieren. Egal, ob sie einen mögen oder nicht. Es würde hier auch niemals ein Mann wagen, mit mir zu flirten oder gar mehr.« Plötzlich versetzte Bice Kerner einen Schlag gegen den Arm. »Und ebenfalls würde es niemand wagen, mich einfach dumm stehen zu lassen, so wie Du es in der Galerie getan hast, Victor Baranow. Das war ziemlich dreist, hat mich aber z ugegebener Maßen auch irgendwie beeindruckt. Was ich mich frage ist … bist du wirklich der Mann, für den ich dich halte?« Bei den letzten Worten blickte die Contessa Kerner direkt in die Augen. Kerner erwiderte den Blick. »Warum findest du es nicht einfach heraus, Bice?« Sie gab keine Antwort auf die Frage. Stattdessen wandte sich Bice um und sah nach vorne. Plötzlich streckte sie ihre Hand nach Kerner aus. »Komm mit zum Bug, Victor. Ich möchte dir etwas zeigen.« Kerner nahm ihre Hand und sie lief mit ihm über das Deck , zum Bug des Schiffes. Ramon, der sich an Deck mit ein paar Aufräumarbeiten beschäftigt hatte, beobachtete die beiden missmutig und folgte dann in einigem Abstand. Am Bug angelangt bot sich Kerner ein unvergleichliches Bild. Sie steuerten Bellagio an. Der Ort, an dem sich auch das Anwesen der Vigianis befand. Sie fuhren vorbei an Villen, die aussahen wie Märchenschlösser. Links von ihnen kam die Uferpromenade von Bellagio in Sicht. Überall dort tummelten sich Menschen, die hier und da einen bewundernden Blick in Richtung der Jacht warfen. Kerner sah, wie einige Touristen Fotos von ihnen schossen. Ein Mann saß dort, der von einem der kleinen Cafés aus das Panorama zu genießen schien. Zwischen den vielen Menschen fiel er niemandem auf. Durch ein Fernglas beobachtete er die Jacht. Er war groß gewachsen, mit mächtigen Schultern und einer Hakennase. Dort saß Siegfried von Löwenberg, der Grabritter.
Nunzio, der andere der beiden Bodyguards aus der Gemäldeausstellung , der jetzt am Ruder der Jacht stand, steuerte auf eine Anlegemauer an der gegenüberliegenden Seite zu. Bice drehte sich zu Kerner um. »Magst du die Berge, Victor?« Verdutzt sah Kerner sie an. »Ja schon, warum fragst du?« Bice lief hinüber zum Ruderhaus. Kerner beobachtete, wie sie einen Moment lang mit Nunzio und Ramon debattierte. Die Bice änderte plötzlich ihren Kurs und fuhr jetzt weiter den See hinauf. Strahlend kehrte die Contessa zurück zu Kerner. Fragend streckte er die Arme zur Seite aus. »Wohin fahren wir?« Bice lehnte sich über die Reling. »Ich möchte dir einen Ort zeigen, an dem wir als Kinder oft mit meinem Vater waren. Lass‘ dich einfach überraschen.« Die Jacht legte jetzt ordentlich an Fahrt zu. Die Landschaft links und rechts des Sees flog förmlich an ihnen vorbei. Nach
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