Der Graf von Monte Christo 2
aus.
»Oh«, sagte er, »Sie geben mir das Leben ein; mehr … mehr …«
»Zwei Tropfen mehr würden Sie töten«, antwortete der Abbé.
»Wenn doch jemand käme, vor dem ich den Elenden anklagen könnte!«
»Soll ich Ihre Aussage niederschreiben? Sie unterzeichnen sie dann.«
»Ja … ja …«, sagte Caderousse, dessen Augen bei dem Gedanken an diese Rache glänzten.
Monte Christo schrieb: »Ich sterbe, ermordet von dem Korsen Benedetto, meinem Kettengenossen von Toulon unter Nr. .«
»Schnell, schnell«, sagte Caderousse, »ich kann sonst nicht mehr unterzeichnen!«
Monte Christo reichte ihm die Feder; Caderousse raff te alle seine Kraft zusammen, unterschrieb und sank auf das Bett zurück. Nach einer Pause sagte er: »Sie werden das übrige erzählen, Herr Abbé; Sie werden sagen, daß er sich Andrea Cavalcanti nennen läßt, im ›Hotel des Princes‹ wohnt und … O mein Gott, mein Gott, ich sterbe!«
Caderousse wurde zum zweitenmal ohnmächtig. Der Abbé ließ ihn den Geruch des Fläschchens einatmen, und der Verwundete öff nete die Augen wieder. Sein Verlangen nach Rache hatte ihn nicht verlassen.
»Sie werden das alles sagen, nicht wahr, Herr Abbé?«
»Ja, und noch vieles dazu.«
»Was werden Sie sagen?«
»Daß er Ihnen den Plan des Hauses jedenfalls in der Hoff nung gegeben hat, daß der Graf Sie töten würde; daß er den Grafen durch einen Brief benachrichtigt hat, den ich erhalten habe, da der Graf abwesend ist, und daß ich wach geblieben bin, um Sie zu erwarten.«
»Und er kommt aufs Schafott, versprechen Sie mir das? Diese Hoff nung wird mir den Tod leichter machen.«
»Ich werde sagen«, fuhr der Graf fort, »daß er Ihnen nachgegan-gen ist, daß er die ganze Zeit aufgepaßt und sich schnell hinter der Mauer versteckt hat, als er Sie hat fortgehen sehen.«
»Haben Sie denn das alles gesehen?«
»Erinnern Sie sich meiner Worte: ›Wenn du wohlbehalten nach Hause kommst, werde ich glauben, daß Gott dir verziehen hat, und ich werde dir auch verzeihen.‹«
»Und Sie haben mich nicht gewarnt?« rief Caderousse, indem er versuchte, sich auf dem Ellbogen aufzurichten. »Sie wußten, daß ich beim Verlassen des Hauses getötet werden würde, und haben mich nicht gewarnt?«
»Nein, denn ich habe in der Hand Benedettos die Gerechtigkeit Gottes gesehen, und ich hätte geglaubt, eine Sünde zu begehen, wenn ich mich den Absichten der Vorsehung widersetzt hätte.«
»Die Gerechtigkeit Gottes! Sprechen Sie mir nicht davon, Herr Abbé! Wenn es eine Gerechtigkeit Gottes gäbe, so wissen Sie besser als irgend jemand, daß es Leute gibt, die bestraft werden würden, und doch gehen sie strafl os aus.«
»Geduld!« sagte der Abbé in einem Ton, der den Sterbenden erbeben machte. »Geduld!«
Caderousse betrachtete ihn mit Erstaunen.
»Und dann«, sagte der Abbé, »ist Gott voll Barmherzigkeit für alle, wie er es für dich gewesen ist; er ist erst Vater und dann Richter.«
»Sie glauben also an Gott, Sie?« fragte Caderousse.
»Wenn ich so unglücklich gewesen wäre, es bis jetzt nicht zu tun«, entgegnete Monte Christo, »so würde ich bei deinem Anblick an ihn glauben.«
Caderousse hob die geballten Hände zum Himmel.
»Höre«, sagte der Abbé, indem er die Hand über den Verwundeten ausstreckte, wie um ihm Glauben zu befehlen, »höre, was dieser Gott, den du in deinem letzten Augenblick nicht anerkennen willst, für dich getan hat: Er hat dir Gesundheit, Kraft, eine gesicherte Arbeit, Freunde, kurz, alles gegeben, um deine natürlichen Wünsche zu befriedigen und in der Ruhe des Gewissens ein glückliches Leben zu führen. Anstatt diese Gaben des Herrn, die so selten in ihrer Fülle geboten werden, auszunützen, was hast du getan? Du hast dich dem Nichtstun, dem Trunk ergeben und in der Trunkenheit einen deiner besten Freunde verraten.«
»Hilfe!« rief Caderousse. »Ich brauche keinen Priester, sondern einen Arzt; vielleicht bin ich nicht tödlich verwundet, vielleicht kann man mich retten.«
»Du bist so schwer verwundet, daß du ohne die drei Tropfen, die ich dir gegeben habe, den Geist schon aufgegeben hättest. Höre also!«
»Oh«, murmelte Caderousse. »Sie sind ein sonderbarer Priester, der die Sterbenden zur Verzweifl ung bringt, statt sie zu trösten.«
»Höre«, fuhr der Abbé fort, »als du deinen Freund verraten hattest, hat Gott angefangen, dich zu warnen, du bist in Not geraten und hast Hunger gelitten; du hattest die Hälfte deines Lebens vergeu-det und
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