Der Graf von Monte Christo 2
Galeeren geschickt worden bin.«
»Sie haben also Ihre Zeit abgesessen, da ich Sie wieder auf dem besten Wege dahin fi nde?«
»Nein, Herr Abbé, ich bin durch jemand befreit worden.«
»Dieser Jemand hat der Gesellschaft aber einen schönen Dienst geleistet«, sagte der Graf spöttisch.
»Oh«, sagte Caderousse, »ich hatte ja versprochen …«
»Ein böser Rückfall … das wird Sie, wenn ich mich nicht irre, aufs Schafott bringen.«
»Herr Abbé, ich folge einem Drang …«
»Das sagen alle Verbrecher.«
»Die Not …«
»Schweigen Sie doch«, sagte Busoni verächtlich, »die Not kann dahin bringen, zu betteln und ein Brot zu stehlen, aber nicht dahin, in einem Haus, das man für unbewohnt hält, einen Schreibtisch zu erbrechen. Und als Sie den Juwelier Joannes töteten, der Ihnen fünf-undvierzigtausend Franken für den Diamanten bezahlt hatte, den ich Ihnen gegeben hatte, geschah das auch aus Not?«
»Verzeihung, Herr Abbé«, sagte Caderousse; »Sie haben mich schon einmal gerettet, retten Sie mich zum zweitenmal!«
»Ich habe wenig Lust dazu.«
»Sind Sie allein, Herr Abbé«, fragte Caderousse, indem er die Hände faltete, »oder haben Sie da Gendarmen, die bereit sind, mich festzunehmen?«
»Ich bin ganz allein«, sagte der Abbé, »und ich will noch einmal Mitleid mit Ihnen haben und Sie laufen lassen, auf die Gefahr hin, daß meine Schwäche weiteres Unglück herbeiführt.«
»Oh, Herr Abbé!« rief Caderousse, indem er Monte Christo einen Schritt näher trat. »Sie sind wirklich mein Retter.«
»Sie behaupten, daß man Sie aus dem Bagno befreit habe?«
»Ja, so wahr ich Caderousse heiße, Herr Abbé!«
»Wer denn?«
»Ein Engländer.«
»Wie hieß er?«
»Lord Wilmore.«
»Den kenne ich; ich werde also erfahren, ob Sie lügen.«
»Herr Abbé, ich sage die reine Wahrheit.«
»Dieser Engländer hatte also Interesse an Ihnen?«
»Nicht an mir, sondern an einem jungen Korsen, der mein Kettengenosse war.«
»Wie hieß er?«
»Benedetto.«
»Das ist ein Taufname.«
»Einen andern hatte er nicht, er war ein gefundenes Kind.«
»Dann ist dieser junge Mann also mit Ihnen entwichen?«
»Ja.«
»Auf welche Weise?«
»Wir arbeiteten in Saint-Mandrier bei Toulon. Kennen Sie Saint-Mandrier?«
»Jawohl.«
»Während die andern Mittagspause hielten, gingen wir ein wenig abseits, sägten unsre Ketten mit einer Feile durch, die wir von dem Engländer erhalten hatten, und retteten uns durch Schwimmen.«
»Und was ist aus dem Benedetto geworden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das müssen Sie doch wissen.«
»Nein, wahrhaftig nicht. Wir haben uns bei Hyères getrennt.« Und um seiner Beteuerung mehr Gewicht zu geben, tat Caderousse noch einen Schritt auf den Abbé zu, der ruhig stehenblieb.
»Sie lügen!« sagte der Abbé.
»Herr Abbé …!«
»Sie lügen! Dieser Mensch ist noch Ihr Freund, und Sie bedienen sich seiner vielleicht als Helfer?«
»Oh, Herr Abbé …!«
»Wie haben Sie gelebt, seitdem Sie Toulon verlassen haben? Antworten Sie!«
»Wie ich gekonnt habe.«
»Sie lügen!« wiederholte der Abbé zum drittenmal und mit noch größerem Nachdruck.
Caderousse sah den Grafen entsetzt an.
»Sie haben von dem Gelde gelebt, das er Ihnen gegeben hat«, fuhr dieser fort.
»Nun ja, es ist wahr«, sagte Caderousse; »Benedetto ist der Sohn eines vornehmen Herrn geworden.«
»Wie kann er der Sohn eines vornehmen Herrn sein?«
»Ein natürlicher Sohn.«
»Und wie heißt dieser vornehme Herr?«
»Der Graf von Monte Christo, derselbe, in dessen Haus wir sind.«
»Benedetto der Sohn des Grafen?« sagte Monte Christo seinerseits erstaunt.
»Man muß es doch wohl glauben, da ihm der Graf einen falschen Vater besorgt hat, ihm viertausend Franken monatlich gibt und ihm testamentarisch fünfhunderttausend Franken hinterläßt.«
»So, so«, sagte der falsche Abbé, der zu verstehen anfi ng. »Und welchen Namen führt inzwischen der junge Mann?«
»Er nennt sich Andrea Cavalcanti.«
»Dann ist es also der junge Mann, den mein Freund, der Graf von Monte Christo, bei sich empfängt und der Fräulein Danglars heiraten soll?«
»Ganz recht.«
»Und das geben Sie zu, Elender! Sie, der sie sein Leben und seine Schande kennen?«
»Warum soll ich einem Kameraden bei seinem Glück im Wege stehen?« entgegnete Caderousse.
»Da haben Sie recht, es ist nicht Ihre Sache, Herrn Danglars zu warnen, sondern die meine.«
»Tun Sie das nicht, Herr Abbé.«
»Warum nicht?«
»Weil Sie uns damit um
Weitere Kostenlose Bücher