Der Graf von Monte Christo 2
ägyptischen Feldzugs gelernt hatte, verfolgte den Text, während der Dolmetscher laut übersetzte:
»Ich, El-Kobbir, Sklavenhändler und Lieferant für den Harem des Großherrn, erkläre hiermit, daß ich für Seine Majestät den Sultan von dem fränkischen Grafen von Monte Christo einen Smaragd im Wert von zweitausend Beuteln empfangen habe als Preis für eine dreizehnjährige Christin namens Haidee, anerkannte Tochter des Paschas von Janina Ali Tebelin und dessen Favoritin Vasiliki, welche junge Christin mir vor neun Jahren mit ihrer bei der Ankunft in Konstantinopel gestorbenen Mutter von einem fränkischen Obersten im Dienste des Wesirs Ali Tebelin, namens Ferdinand Mondego, verkauft worden ist.
Dieser Verkauf war mir für Rechnung des Großherrn, dessen Beauftragter ich war, gegen die Summe von tausend Beuteln gemacht worden.
Geschehen zu Konstantinopel mit Einwilligung des Großherrn im Jahre des Propheten.
Gezeichnet: El-Kobbir.
Gegenwärtige Akte wird, um ihr Glaubwürdigkeit und Authentizität zu verleihen, mit dem kaiserlichen Siegel versehen, das anbringen zu lassen der Verkäufer sich verpfl ichtet.«
In der Tat sah man neben der Unterschrift das Siegel des Großherrn.
Dieser Verlesung folgte ein unheimliches Schweigen; des Grafen Blick, der wie gebannt auf Haidee ruhte, schien von Feuer und Blut erfüllt.
»Madame«, sagte der Präsident, »kann man nicht den Grafen von Monte Christo befragen, der, wie ich glaube, mit Ihnen gemein-schaftlich in Paris ist?«
»Der Graf von Monte Christo, mein zweiter Vater, ist seit drei Tagen in der Normandie«, antwortete Haidee.
»Wer hat Ihnen aber dann zu diesem Schritt geraten, für den die Versammlung Ihnen dankt und der nach Ihrem Unglück ganz na-türlich ist?« fragte der Präsident.
»Mein Herr«, antwortete Haidee, »dieser Schritt ist mir durch meinen Schmerz geraten worden. Wenn ich auch eine Christin bin, so habe ich doch immer – Gott möge es mir verzeihen! – daran gedacht, meinen erlauchten Vater zu rächen. Als ich Frankreichs Boden betrat, als ich erfuhr, daß der Verräter in Paris lebe, sind meine Augen und Ohren beständig off en geblieben. Ich lebe zurückgezogen im Hause meines edlen Beschützers, und ich lebe so, weil ich die Stille liebe, die mir erlaubt, mich mit meinen Gedanken zu beschäftigen. Aber der Herr Graf von Monte Christo widmet mir väterliche Fürsorge, und nichts, was das Leben der Welt ausmacht, ist mir fremd; nur nehme ich aus der Ferne daran teil. So lese ich alle Zeitungen; und indem ich so das Leben der andern verfolge, habe ich erfahren, was heute morgen in der Pairskammer vorgefallen ist und was heute abend vor sich gehen sollte … Da habe ich geschrieben.«
»Der Herr Graf von Monte Christo hat also mit Ihrem Schritt nichts zu tun?«
»Er hat keine Ahnung davon, und ich habe sogar nur die eine Furcht, daß er ihn mißbilligt, wenn er davon erfährt. Aber es ist ein schöner Tag für mich«, fuhr das junge Mädchen fort, indem es einen fl ammenden Blick zum Himmel emporsandte, »an dem ich endlich Gelegenheit fi nde, meinen Vater zu rächen.«
Der Graf hatte während der ganzen Zeit nicht ein einziges Wort gesprochen.
Seine Kollegen betrachteten ihn und empfanden Mitleid mit dem Manne, dessen Glück von dieser Frau vernichtet worden war.
Sein Unglück schrieb sich allmählich in fi nsteren Zügen auf sein Gesicht.
»Herr Graf von Morcerf«, sagte der Präsident, »erkennen Sie die Dame als die Tochter Ali Tebelins, des Paschas von Janina?«
»Nein«, entgegnete Morcerf, indem er eine Anstrengung machte, um sich zu erheben, »es ist ein von meinen Feinden angezetteltes Komplott.«
Haidee, die den Blick zur Tür gerichtet hatte, als ob sie von dort jemand erwartete, wandte sich plötzlich um und stieß, als sie den Grafen aufrecht dastehen sah, einen schrecklichen Schrei aus.
»Du erkennst mich nicht«, sagte sie; »aber ich erkenne dich. Du bist Ferdinand Mondego, der fränkische Offi zier, der die Truppen meines Vaters instruierte. Du bist’s, der die Schlösser von Janina ausgeliefert hat; du bist’s, der von seinem Wohltäter nach Konstantinopel geschickt wurde, um direkt mit dem Kaiser über Leben und Tod zu unterhandeln, und der einen falschen Firman mitbrachte, der vollständige Gnade gewährte! Du bist’s, der mit diesem Firman den Ring des Paschas erhielt, der dir bei Selim, dem Wächter der Pulverkammer, Gehorsam verschaff en sollte; du bist’s, der uns, meine Mutter und
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