Der Graf von Monte Christo 2
mich, an den Händler El-Kobbir verkauft hat! Mörder!
Mörder! An deiner Stirn klebt noch das Blut deines Herrn!«
Diese Worte waren mit solch einer Begeisterung der Wahrheit gesprochen, daß aller Blicke sich zur Stirn des Grafen wandten und dieser selbst sich mit der Hand an die Stirn faßte, als ob er dort das noch warme Blut Ali Paschas fühlte.
»Sie erkennen also bestimmt in dem Grafen von Morcerf den Offi zier Ferdinand Mondego?«
»Ob ich ihn erkenne!« rief Haidee. »Oh, meine Mutter, du hast mir gesagt: ›Du warst frei, hattest einen Vater, den du liebtest, warst bestimmt, fast eine Königin zu werden. Sieh dir genau diesen Menschen an, der dich zur Sklavin gemacht, der das Haupt deines Vaters auf einen Spieß gesteckt, der uns verkauft, uns ausgeliefert hat! Sieh die große Narbe an seiner rechten Hand; wenn du sein Gesicht vergäßest, würdest du ihn an dieser Hand wiedererkennen, in die die Goldstücke des Händlers El-Kobbir gefallen sind!‹ – Und ob ich ihn erkenne! Oh, lassen Sie ihn jetzt selbst sagen, ob er mich erkennt!« schloß Haidee.
Jedes dieser Worte war wie ein Säbelhieb auf Morcerf gefallen; bei den letzten Worten verbarg er rasch seine Hand, die in der Tat von einer Wunde verstümmelt war, im Rock und sank in fi nsterer Verzweifl ung in seinen Stuhl zurück.
»Herr Graf von Morcerf«, sagte der Präsident, »lassen Sie sich nicht niederschlagen; die Gerechtigkeit dieses Gerichtshofs ist erhaben und unparteiisch wie die Gottes; sie wird Sie nicht von Ihren Feinden vernichten lassen, ohne Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Wollen Sie neue Untersuchungen? Soll ich eine Reise zweier Kammermitglieder nach Janina anordnen? Sprechen Sie!«
Morcerf antwortete nichts. Die Mitglieder der Kommission sahen sich mit einer Art Entsetzen an. Man kannte den energischen und heftigen Charakter des Grafen. Es mußte ein furchtbarer Schlag sein, der ihn so niederwarf, daß er sich nicht verteidigte; man muß-
te annehmen, daß diesem Schweigen, das einem Schlaf glich, ein Erwachen folgen werde, das wie ein Gewitter sein würde.
»Nun«, fragte ihn der Präsident, »was bestimmen Sie?«
»Nichts«, antwortete der Graf mit dumpfer Stimme, indem er sich erhob.
»Die Tochter Ali Tebelins hat also wirklich die Wahrheit gesprochen?« fragte der Präsident. »Wir haben also in ihr den furchtbaren Zeugen, demgegenüber der Schuldige nicht mehr nein zu antworten wagt? Sie haben also wirklich alles das getan, dessen man Sie anklagt?«
Der Graf warf einen Blick um sich, dessen verzweifelter Ausdruck Tiger gerührt hätte, aber er konnte die Richter nicht entwaff nen; dann richtete er die Augen zur Decke empor, riß mit heftiger Bewegung den Rock auf, der ihn zu ersticken drohte, und ging wie ein Irrsinniger aus dem Saal. Einen Augenblick ertönte sein Schritt unter dem hallenden Gewölbe, dann hörte man seinen Wagen da-vonrollen.
»Meine Herren«, sagte der Präsident, als es wieder still geworden war, »ist der Graf von Morcerf der Untreue, des Verrats und der Unwürdigkeit überführt?«
»Ja«, antworteten einstimmig sämtliche Mitglieder der Kommission.
Haidee hatte der Sitzung bis zum Schluß beigewohnt; sie hörte das Urteil über den Grafen aussprechen, ohne daß ein Zug ihres Gesichts Freude oder Mitleid ausdrückte.
Dann zog sie den Schleier wieder über das Gesicht, grüßte die Räte und verließ den Saal mit den Schritten einer Königin.
D B
Albert von Morcerf war an demselben Tag, an dem die Verhandlung in der Pairskammer stattfand, durch den Brief eines Freundes aus der Normandie, wo er sich auf der Besitzung des Grafen von Monte Christo aufhielt, nach Paris zurückgerufen worden und auf der Stelle dahin abgereist.
Er erfuhr, daß Danglars wegen der Aff äre in Janina Erkundigungen eingezogen hatte, und war zu dem Bankier gegangen, um ihn zur Rede zu stellen. Dieser hatte ihm gesagt, daß er dem Grafen von Monte Christo gegenüber erwähnt habe, daß ihm immer dunkel geblieben sei, wo das Vermögen des Generals herstamme. Er wisse nur so viel, daß er es in Griechenland erworben habe. Darauf habe ihm der Graf von Monte Christo geraten, nach Janina zu schreiben, und er habe sich doch wohl nach der Vergangenheit des Mannes, der der Schwiegervater seiner Tochter werden sollte, erkundigen können. Er, Danglars, habe dem Grafen von Monte Christo die Antwort, die er aus Janina erhalten hatte, mitgeteilt, die Artikel in den
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