Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
man auf die Straße sah, erwartete er zitternd die Strahlen des ersten Tageslichts.
Gegen fünf Uhr morgens zuckte er zusammen, als er Räderrollen vernahm und ein Wagen vor dem Gefängnistor anhielt. Kein Geräusch entging ihm, weder das Öffnen und schwerfällige Schließen des Tores noch die Schritte im Flur; es waren die Schritte von mehreren Personen; sie machten vor der Tür halt, und der Schlüssel drehte sich klirrend im Schloss. Die Tür wurde geöffnet. Ein Rest von Hoffnung ließ ihn den Blick auf den Eintretenden richten; er hoffte, Murat in seinem prunkvollen Aufzug zu erblicken, voller Federn und Goldstickerei unter seinem Umhang; stattdessen erblickte er einen schwarz gekleideten Mann, der ihm trotz seiner sanften und ehrlichen Miene von finsteren Dingen zu künden schien.
In Kandelabern an der Wand wurden Kerzen entzündet. Réal sah sich um, denn er merkte, dass er sich nicht in einer Kerkerzelle befand. In der Tat hatte man den Gefangenen in die Kanzlei des Gerichtsschreibers gebracht, weil man um sein Leben zu fürchten begonnen hatte.
Réal sah ein Bett, auf das der Verurteilte sich hatte sinken lassen, ohne etwas abzulegen; dann richtete er den Blick auf das Gesicht des Unglücklichen, der ihm die Hände entgegenstreckte.
Réal machte ein Zeichen. Man ließ ihn allein mit demjenigen, den er befragen wollte.
»Ich bin«, sagte er, »Oberrichter Réal. Sie haben die Absicht bekundet, Enthüllungen zu machen, und ich bin gekommen, um sie entgegenzunehmen.«
Der Mann, zu dem er sprach, wurde von einem so heftigen Nervenzittern heimgesucht, dass er vergebens zu antworten versuchte; seine Zähne klapperten, und auf seiner Miene zeigten sich erschreckende Konvulsionen.
»Beruhigen Sie sich«, sagte der Staatsrat zu ihm; obwohl er es gewohnt war, mit Menschen zu tun zu haben, denen der Tod bevorstand, hatte er noch nie jemanden erlebt, der sich so schrecklich davor fürchtete. »Denken Sie, Sie können mir jetzt antworten?«
»Ich will es versuchen«, erwiderte der Unglückliche, »aber wozu? Wird es in zwei Stunden etwa nicht aus und vorbei mit mir sein?«
»Es liegt nicht in meiner Macht, Ihnen etwas zu versprechen«, sagte Réal, »doch falls sich das, was Sie mir zu sagen haben, als so außergewöhnlich wichtig erweisen sollte, wie Sie behaupten...«
»Ach! Beurteilen Sie es selbst!«, rief der Gefangene. »Warten Sie, was wollen Sie wissen? Was wollen Sie von mir erfahren? Leiten Sie mich, ich bin völlig kopflos.«
»Beruhigen Sie sich und antworten Sie auf meine Fragen. Wie heißen Sie?«
»Querelle.«
»Was waren Sie?«
»Arzt.«
»Wo lebten Sie?«
»In Biville.«
»Nun gut; nun ist es an Ihnen, mir zu erzählen, was Sie mir zu sagen haben.«
»Im Namen Gottes, vor dem ich mich zu verantworten haben werde, schwöre ich, Ihnen die Wahrheit zu sagen, aber dennoch werden Sie mir nicht glauben.«
»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, sagte Réal, »Sie sind unschuldig, nicht wahr?«
»Ja, das schwöre ich Ihnen.«
Réal machte eine Handbewegung.
»Unschuldig an dem, was man mir zu Last legt«, fuhr der Gefangene fort, »und ich hätte meine Unschuld beweisen können.«
»Warum haben Sie es nicht getan?«
»Weil ich dann ein Alibi hätte nennen müssen, das mich von der einen Tat losgesprochen und mich einer anderen überführt hätte.«
»Sie haben also doch konspiriert?«
»Ja, aber nicht mit Picot und Lebourgeois. Ich hatte nichts mit der Verschwörung um die Höllenmaschine zu tun, das schwöre ich Ihnen. Zu jener Zeit war ich mit Georges Cadoudal in England.«
»Und seit wann sind Sie in Frankreich?«
»Seit zwei Monaten.«
»Sie haben Georges also vor zwei Monaten verlassen.«
»Ich habe ihn nicht verlassen.«
»Wie! Sie wollen ihn nicht verlassen haben? Aber wenn Sie in Paris sind und er in England ist, dann müssen Sie ihn ja wohl verlassen haben!«
»Georges ist mitnichten in England.«
»Wo ist er dann?«
»In Paris.«
Réal sprang von seinem Stuhl auf. »In Paris?«, rief er. »Unmöglich!«
»Aber so ist es; wir sind zusammen hergekommen, und ich habe noch am Tag vor meiner Verhaftung mit ihm gesprochen.«
Georges befand sich also seit zwei Monaten in Paris! Die Enthüllungen des Gefangenen waren noch weitaus bedeutsamer, als man für möglich gehalten hätte.
»Und wie sind Sie nach Frankreich zurückgekommen?«, fragte Réal.
»Über die Klippe von Biville. Es war an einem Sonntag, eine kleine englische Slup hat uns dort abgesetzt; wir wären um
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