Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
hier Frieden und Würde vereint vorzufinden.«
Nelson sah sie noch immer schweigend an, doch nach einigen Sekunden rief er mit nassen Augen: »Hochherzige Emma! Gute Emma! Ja, du hast in meinem Herzen gelesen, ja, du hast meine Gedanken erraten. Ohne Emma gäbe es keinen Nelson. Du hast mich zu dem gemacht, der ich bin; noch heute werde ich nach London aufbrechen.«
Die Victory , mit dem optischen Telegraphen herbeibeordert, befand sich noch am gleichen Abend auf der Themse, und am nächsten Tag wurde alles für die Abreise vorbereitet.
Die Liebenden blieben noch zehn Tage lang zusammen. Die letzten fünf Tage verbrachte Nelson fast ausschließlich bei der Admiralität; am 11. September besuchten sie ein letztes Mal ihr geliebtes Merton, verbrachten den ganzen Tag des 12. Septembers ungestört und übernachteten dort.
Eine Stunde vor Tagesanbruch stand Nelson auf und ging in das Zimmer seiner Tochter, beugte sich über ihr Bett und betete leise und tränenreich, was ihn sehr erleichterte.
Nelson war ausgesprochen religiös.
Um sieben Uhr morgens verabschiedete er sich von Emma; sie begleitete ihn zu seinem Wagen; dort drückte er sie lange an sein Herz; sie weinte heftig, versuchte jedoch, durch die Tränen zu lächeln, und sagte: »Kämpfen Sie nicht, ohne den kleinen Vogel gesehen zu haben.«
Um einen Menschen zu ermessen, muss man ihn nicht in seiner Größe beurteilen, sondern in seinen Schwächen.
Dies ist die Legende von Nelsons kleinem Vogel: Als Emma Lyon zum ersten Mal den »Helden des Nils« erblickte, wie Nelson damals genannt wurde, kam er wie gesagt gerade von der Seeschlacht von Abukir zurück. Sie wurde ohnmächtig, als sie ihn umarmte. Nelson ließ sie in seine Kabine bringen, und als sie wieder zu sich kam, flog ein kleiner Vogel zum Fenster herein und setzte sich Horatio auf die Schulter.
Als Emma die Augen aufschlug, die vielleicht nie ganz geschlossen gewesen waren, fragte sie: »Was ist das für ein kleiner Vogel?«
Nelson lächelte und antwortete: »Das, gnädige Frau, ist mein guter Geist. Als dieser Baum geschlagen wurde, um zu einem Schiffsmast zu werden, war in seinen Zweigen ein Nest bengalischer Finken; jeder meiner Siege wurde mir von einem Besuch dieses bezaubernden kleinen Sängers angekündigt, wo ich mich auch befand. Zweifellos harrt meiner abermals ein Sieg, denn sonst würde der kleine Vogel mich nicht besuchen.
Aber der Tag, an dem ich mich in den Kampf begebe, ohne ihn am Vortag oder am Tag der Entscheidung gesehen zu haben, wird mein Unglück besiegeln, dessen bin ich mir gewiss.«
Und wahrhaftig verkündete ihm der kleine Vogel seinen schönsten Sieg, den Sieg über Emma Lyon.
Bei der Bombardierung Kopenhagens hatte ihn der Gesang des Vögleins geweckt, ohne dass er hätte sagen können, wie der Vogel in seine Kajüte gelangt war.
Deshalb hatte Emma nun zu ihm gesagt, er solle nicht kämpfen, ohne den kleinen Vogel gesehen zu haben.
Am nächsten Morgen hatte Nelson Portsmouth erreicht, und am 15. September war er in See gestochen.
Das Wetter war jedoch so schlecht, dass die Victory trotz Nelsons Ungeduld genötigt war, zwei ganze Tage in Sichtweite der englischen Küste zu kreuzen.
Diese Verzögerung erlaubte Nelson, vor seiner endgültigen Abreise der Geliebten zwei Briefe zukommen zu lassen, die voller Zärtlichkeit an sie und an ihre Tochter gerichtet waren, in denen sich jedoch auch traurige Vorahnungen bemerkbar machten.
Als das Wetter zuletzt günstig war, konnte er den Ärmelkanal verlassen, und am 20. September um sechs Uhr abends erreichte er die englische Flotte vor Cadiz, die aus dreiundzwanzig Linienschiffen unter dem Kommando Vizeadmiral Collingwoods bestand.
Am selben Tag war Nelsons sechsundvierzigster Geburtstag.
Am 1. Oktober schrieb er Emma in dem nachfolgend abgedruckten Brief, dass er sich mit Collingwood vereinigt hatte und dass ihn eine der nervösen Störungen quälte, die ihn immer wieder heimsuchten, seit er von einer Schlange gebissen worden war.
Sein Brief lautet:
1. Oktober 1805
Meine vielgeliebte Emma,
es ist mir ein Trost, zur Feder zu greifen und Ihnen ein paar Zeilen zu schreiben, denn gegen vier Uhr morgens hatte ich einen meiner schmerzhaften Krämpfe, der mir jede Kraft geraubt hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass einer dieser Anfälle mich eines Tages das Leben kosten wird. Doch der Anfall ist vorbei und hat nur ein Gefühl großer Schwäche hinterlassen. Seit sieben Uhr abends war ich mit Schreiben
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