Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
der Prinzessin blieb. Die Damen hatten sich doppelt und dreifach herausgeputzt, wenn man so sagen darf.
Waren der Anlass das Konzert und der Ball, die den Abend beschließen sollten? Oder war es der geheimnisvolle schöne Fremde?
Alles, was General Lamarque über ihn erzählt hatte und noch erzählte, steigerte nur die Neugier der Damen. Die Vorstellung, dass ein Liebesleid der Grund für die Blässe und die Melancholie seiner Miene war, rührte gewaltig an ihr Herz.
Was sonst sollte einem Mann einen so hartnäckigen Todeswunsch einflößen als eine unglückliche Liebe, vor allem wenn der junge Mann so schön, so tapfer und so reich war?
Die Hofetikette ist bekannt: Die Prinzessinnen lassen die Tänzer benachrichtigen, denen sie die Ehre erweisen wollen, mit ihnen zu tanzen. Die Prinzessin gab René zu verstehen, ihr Mann habe ihr erlaubt, ihm diese Gunst zu erweisen, doch mit ungeheucheltem Bedauern erwiderte René, dass er vor langer Zeit gelobt habe, nie mehr zu tanzen, er ihr jedoch für alles andere zur Verfügung stehe.
»Für alles andere? Was verstehen Sie darunter?«
»Prinzessin«, erwiderte René lächelnd, »darunter verstehe ich, dass ich zuerst bereit bin, die anderen zum Tanzen zu bringen, und danach, diejenigen der Damen zu begleiten, die uns sicherlich das Vergnügen bereiten werden zu singen.«
»Begleiten«, sagte die Prinzessin, »auf welchem Instrument?«
»Auf jedem, Madame.«
»Sind Sie etwa Musiker?«
»Während meiner drei Jahre Gefangenschaft war die Musik meine einzige Zerstreuung.«
»Und Dichter?«
»Wer wäre das nicht auf seine bescheidene Weise?«
»Ich werde Sie nachher an alles erinnern, was Sie soeben sagten.«
»Sie werden befehlen, Madame, und ich werde gehorchen.«
Das Gespräch wurde allgemein. René, der nie zu glänzen versuchte, steuerte nur hin und wieder ein paar Worte bei.
Den Damen wurde angekündigt, dass sie am nächsten Morgen nach Venedig aufzubrechen hätten, angeführt von der Prinzessin, da sie zu keinem Armeekorps zählten.
Die Prinzessin zeigte sich rebellisch. »Warum sollen wir uns von der Armee entfernen?«, fragte sie. »Sind wir in Ihren Reihen nicht ebenso sicher wie in Venedig?«
»Nicht ganz und gar«, erwiderte René, »und deshalb würde ich Eure Kaiserliche Hoheit gerne bitten, sich den Anordnungen des Prinzen nicht zu widersetzen.«
Diese Worte sagte er in leisem, doch so ernstem Ton, dass sie ihren Eindruck auf die Prinzessin nicht verfehlten.
»Besteht denn Grund zur Besorgnis?«, fragte die Prinzessin René beunruhigt.
»Die Truppen sind ungünstig verteilt«, sagte René. »Und sollte Erzherzog Johann kein völliger Anfänger in der Kriegskunst sein, dann müsste er uns getrennt angreifen und die ersten Gefechte gewinnen.«
»Haben Sie das Eugène gesagt?«, fragte die Prinzessin.
Doch René verneigte sich leicht und antwortete: »Madame, es steht mir nicht zu, solche Voraussagen zu treffen.«
»Sie sind also auch der Ansicht, dass wir nach Venedig abreisen sollten?«
»Ich für meine Person würde Eure Hoheit unbedingt darum bitten, und da meine Person und meine Stimme wenig zu bedeuten haben, bitte ich Euch, Eurem erhabenen Gemahl zu gehorchen.«
In einem Schweigen, das verriet, welche Wirkung die Aufforderung an die Damen gehabt hatte, am nächsten Tag nach Venedig aufzubrechen, verließ man den Tisch.
Eine Zeit lang lauschten die Gäste noch zerstreut der Musik, die während des Abendessens gespielt worden war; dann wurden die Musiker zu ihrem eigenen Abendessen geschickt.
Schönstes Aprilwetter herrschte, und man beschloss, auf der Terrasse und in den herrlichen Gärten des Schlosses von Udine spazieren zu gehen.
Die Aussicht war bezaubernd: In dem klaren Abendlicht sah man auf der Ebene östlich unterhalb des Schlosses wie große Schlangen, deren Schuppen die untergehende Sonne zurückwarfen, den Isonozo und den La Torre; der La Torre floss am Fuß der Stadtbefestigungen vorbei, und der Isonzo beschrieb eine den Bergen von Görz geschuldete Krümmung; im Norden und im Nordwesten erhoben sich die Tiroler Berge, deren Gipfel, wenn sie im Nebel verschwanden, zu am Himmel festgefrorenen Wolken wurden, und im Westen erblickte man den Tagliamento, der den weiten Bogen seiner Wasser beschrieb, die im Schatten wie polierter Stahl schimmerten, und hinter dem Fluss die zahllosen Sturzbäche, von denen die Ebene durchzogen ist und die silberne Blitze aussandten, wenn ein Sonnenstrahl durch die Berge zu ihnen fand und ihre
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