Der Greif
nicht sah, daß sie
keine Hoden hatte.
»Bring mir das Ding«, grunzte Mutter Liebe.
Shirin lächelte und leckte sich die Lippen, dann setzte sie das Messer an. Der fest verschnürte, völlig bewußtlose Körper krümmte sich vor Schmerz krampfartig zusammen.
Thor würde nie wieder Thor sein.
»Mamnun, Modar Chobi. Nun bin ich Thor los«, sagte ich.
Sie runzelte die Stirn. »Thor?«
»So heißt er, und er war auf diesen Namen so stolz, daß er ihn sich vom Lekar in Lviv mit Nadeln auf seinen Rücken schreiben ließ.«
Auf ein weiteres Handzeichen der Stammesmutter hin half Ghashang Shirin, den leblosen Körper auf den Rücken zu rollen und die restlichen Fetzen der Tunika wegzuschneiden.
Die Augen aller Frauen weiteten sich, als sie Thors
hammerförmige Narbe sahen.
Mutter Liebe dröhnte begeistert: »Bach! Bach! Ich wollte immer schon eine neue Haut für meinen Thron haben. Diese hier wird ihn besonders elegant schmücken.«
»Warum laßt Ihr diese Kreatur nicht noch eine Weile für euch arbeiten, bevor ihr sie abhäutet?« fragte ich. »Nun, da er kein Mann mehr ist, könnt ihr ihn doch zum Sklaven eures Stammes machen. Wenn ihr ihn dann zu Tode geschunden
habt, könnt ihr ihm ja immer noch die Haut abziehen.«
»Mit einem Kaufmann können wir hier nichts anfangen«,
schnaubte sie verächtlich.
»Verzeiht, wenn ich Euch das sage, aber Ihr könntet
durchaus einen guten Koch gebrauchen.«
»Wie?«
»Ich erzählte Euch doch bereits, daß er vielen weiblichen Beschäftigungen nachging. Er brachte sich sogar das
Kochen bei. Ich kann Euch versichern, Mutter, daß Ihr so gut speisen werdet wie nie zuvor, wenn Ihr Thor für den Rest seines Lebens zu Eurem Koch macht; zu unserem Koch,
meine ich natürlich.«
Sie schaute angewidert auf ihn herab. »Ein Kaufmann, ein Ehemann, ein angeblicher Transvestit und dazu noch ein Koch!«
Sie versetzte dem Körper einen Tritt und sagte zu
Ghashang: »Brenne seine letzte Wunde so aus, daß sie sich fest verschließt, damit er nicht an ihr stirbt. Und dann entfernt diesen... diesen Enarios... aus meinen Augen.
Bewache ihn und ruf mich, wenn er aufwacht.« Dann wandte sie sich wieder an mich und sagte gereizt: »Wenn du mit dem, was du hier zu essen bekommst, so unzufrieden bist, Veleda, dann kannst du dich ja heute abend um das Essen kümmern.«
»Mit Vergnügen«, sagte ich ohne zu heucheln, denn
genau das hatte ich den Frauen sowieso vorschlagen
wollen. »Wünscht Ihr, daß ich das Mahl aus dem Fleisch des heute erlegten Elchs zubereite, Mutter? Es wäre allerdings besser, es noch ungefähr eine Woche lang hängen zu
lassen bevor - Mein Gott!«
Dieser Ausruf war mir vor Überraschung herausgerutscht, denn sie hatte sich plötzlich von mir abgewandt, ihr Messer aus dem Gürtel gezogen und es in den fetten, nackten
Bauch von Roshan gestoßen. Die Frau riß ihre Augen noch ein letztes Mal weit auf und kippte dann nach hinten. Der Körper schlug mit einer solchen Wucht auf, daß der Boden unter unseren Füßen bebte.
»Treulosigkeit muß bestraft werden«, sagte Mutter Liebe ohne jegliche Gefühlsregung, und auch ihren anderen
Töchtern kam kein Laut der Klage oder des Protestes über die Lippen. »Nun hör gut zu, Veleda!« Erneut durchbohrte sie mich mit ihrem finsteren Drachenblick. »Deine Ankunft, oder besser gesagt, deine Befreiung von diesem Thor, hat uns eine unserer Schwestern gekostet. Also schau zu, daß du geschwängert wirst und eine Tochter zur Welt bringst, die sie ersetzen kann.«
Ich nickte nur. Dies war nicht der Zeitpunkt, um die freche Frage zu stellen, ob es denn möglich sei, auf Befehl
schwanger zu werden.
Mutter Liebe war mit ihren herrischen Befehlen noch nicht am Ende. Sie zeigte auf Roshans immer noch zuckende
Überreste und sagte zu Shirin: »Schneide ihr den Kopf ab und leg ihn zusammen mit dem des Elchs ehrerbietig auf den Zypressenaltar.«
Shirin machte sich daraufhin entschlossen an die Arbeit, und die anderen Frauen schauten ihr schweigend und
ungerührt zu. Mein Gesichtsausdruck hingegen mußte
Mutter Liebe mißfallen haben, denn sie knurrte wütend:
»Hast du vielleicht sonst noch irgendwelche Beschwerden vorzubringen?«
»Ne, ne. Es ist nur... Ich hatte gedacht, daß wir den
Göttinnen lediglich Speisen opfern, also einen Teil von dem, was wir selber essen... der Kopf des Elchs war ja ein Teil unserer Jagdbeute.«
»Das ist richtig. Und heute abend wird Roshan unsere
Mahlzeit sein. Aus ihr wirst du uns heute
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