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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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nächstes vorhast?«
    »Ja«, antwortete Theoderich grimmig. »Ich werde mich
    aufmuntern, indem ich ein paar Römer umbringe.« Und sich selbst verspottend fügte er hinzu: »Außerdem werde ich mich darauf verlassen, was Tufa erzählt hat.«
    »Was?«
    »Er erwähnte eine weitere römische Streitmacht am
    Addua, und ich glaube, er hat die Wahrheit gesprochen.
    Odoaker wird annehmen, daß ich ihm blind vor Wut gen
    Süden, nach Ravenna, hinterhersetze. In diesem Fall wird er dem Heer am Addua befehlen vielleicht mit seinem System polybischer Signale - uns von hinten anzugreifen.«
    Ich nickte. »Damit hätte er dich in der Zange.«
    »Stattdessen werde ich, sobald Ibbas Kavallerie bereit ist, einen Ausfall machen und das Heer am Addua attackieren.
    Ich werde sie überraschen, so hoffe ich inbrünstig, und zu Staub zermahlen. Ich lasse Pitza, Herduich und unsere
    Infanterie hier in Verona, für den Fall, daß sich noch mehr römische Heere in der Nähe befinden.«
    Um ihn zu ermutigen, grinste ich und sagte: »Dann mache ich mich am besten auf den Weg, oder du hast den Krieg gewonnen, bevor ich zurückkehre.«
    Als ich mich verabschiedete, legte Theoderich seine
    Kampfmontur an, doch ich ließ meine im Lager zurück, auch mein Krummschwert und mein Messer und alles, was mich
    als Ostgoten und Krieger zu erkennen gegeben hätte. Am Leib und in den Satteltaschen trug ich nur unauffällige Reisekleider, und am Sattelknauf machte ich ein erbeutetes, abgenutztes römisches Kurzschwert fest. Ich führte Velox vorsichtig über die Brücke des Etsch. Auf der anderen Seite angelangt, lenkte ich ihn auf den mit Gras bewachsenen Streifen der Via Postumia, gab ihm die Sporen, und wir flogen in gestrecktem Galopp gen Süden.
    An einem strahlend blauen Oktobertag stand ich einige
    Meilen östlich von Bononia in den Stoppeln eines vor
    kurzem abgeernteten Kornfeldes am Rande der Via Aemilia und betrachtete dessen frische Saat: die Leichen von mehr als zweihundert Soldaten.
    Die meisten waren rasch getötet worden, und ihre Kadaver wiesen nur eine Stich- oder Schnittwunde auf. Um das
    Leben eines Menschen auszulöschen, bedarf es oft nur
    eines einzigen gutplazierten Loches. Doch Odoakers
    Kolonnen waren im Eilmarsch begriffen. Sie konnten keinen Aufschub dulden. Sie mußten ihre Gefangenen in aller Eile abschlachten. So kam es, daß einige ihrer Opfer - auch Zenturio Brunjo und König Friderich - so nachlässig in Stücke gehackt worden waren, daß ihre Leichen
    ausgemeißelt, ausgehöhlt und mit Löchern versehen waren wie die häßliche Karstlandschaft, durch die wir einst
    zusammen geritten waren.
    6
    Ich hätte mütterliche Tränen um Friderich vergießen
    können, wie ich so auf das Schlachtfeld starrte, nicht zuletzt weil ich wußte, daß seine leibliche Mutter dies nie tun würde.
    Gleichzeitig erlitt meine Seele die Pein männlicher Trauer, und ich betrauerte den Verlust Friderichs, wie ein älterer Bruder es getan hätte.
    Trotz dieser gemischten und wenig erhabenen Gefühle
    war ich von dem kalten Entschluß beseelt, das hier
    begangene Unrecht zu rächen.
    Inzwischen war mir aufgefallen, daß sich in dem
    Stoppelfeld auch lebendige Menschen aufhielten;
    einheimische Arbeitstrupps hoben träge Massengräber aus und fluchten über diese Abfallhaufen, die man ihnen zum Wegräumen überlassen hatte. Unweit von Friderichs Leiche gruben vier alte Bauern. Derjenige, der mir am nächsten war und meinen Blick auffing, schulterte seine Hacke, kam zu mir herüber und meinte jovial: »Fragt Ihr Euch, Freund, warum wir alle murren, wo wir doch dankbar sein sollten?
    Außer den zahlreichen Bastarden, die unser vornehmer Herr unseren Töchtern gemacht hat, bleibt dies großzügige
    Geschenk an Bodendünger das einzige bisher.«
    »Welcher Herr?« fragte ich. »König Odoaker?«
    Er schüttelte den Kopf. »Der Clarissimus Tufa, magister militum der Armee Odoakers, Besatzungskommandant dieser Provinz Flaminia und Legat der Stadt Bononia.«
    Ich wies mit der Hand auf das Feld. »Diese Abschlachterei geht zu Lasten eines römischen
    Besatzungskommandanten?«
    »Ein Römer? Nullo modo. Kein Römer, sondern ein
    Barbarenschwein. Ein Barbarenschwein in einer gefärbten Toga bleibt doch ein Barbarenschwein. Ihr scheint hier fremd zu sein. Ich hoffe, Ihr reist nicht mit Frau und Tochter. Tufas größtes Vegnügen ist nämlich, abgesehen von seinen
    Wutanfällen, die Entjungferung von Mädchen und die
    Entehrung von Matronen.«
    Wieder zeigte

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