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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Theoderich den Amaler, dessen Vater,
    Großvater und wahrscheinlich sämtliche Vorfahren Könige der Ostgoten gewesen sind.«
    Dies war das erste Mal, daß ich den Namen jenes
    Theoderich hörte, mit dem mein Leben später so eng
    verknüpft sein sollte. Da ich jedoch weder Weissager noch sonst ein Hellseher war, hörte ich nur mit halbem Ohr zu, als Wyrd weitersprach.
    »Dieser Theoderich ist zur Zeit eine Geisel am
    kaiserlichen Hof in Konstantinopel, eine Rückversicherung, daß sein königlicher Vater und sein königlicher Onkel den Frieden im Ostreich nicht stören. Der Junge hat Glück. Eine Geisel Kaiser Leons zu sein, ist erheblich angenehmer als, sagen wir, eine Geisel der Hunnen. Ich habe gehört, daß Theoderich mit all den Privilegien aufwächst, die dem Sohn eines römischen Patriziers edelster Abstammung zustehen.
    Es heißt, daß er am Hof sehr beliebt ist und daß er sehr begabt ist, sowohl in den Sprachen wie in den sportlichen Disziplinen. Zweifellos wird er, wenn er das richtige Alter erreicht hat, das Königreich der Ostgoten erben und
    wahrscheinlich dem römischen Imperium Ärger machen.
    Und wer weiß, vielleicht werden dann ganze Generationen von Kindern nach ihm benannt.«
    2
    Wyrd und ich betraten die Stadt Constantia zu Fuß und
    führten unsere Pferde, denn die Pelze stapelten sich auf den Sätteln. Wir waren dem Rhein von Basilia flußaufwärts
    gefolgt und hatten unterwegs jedes pelztragende Geschöpf, das unseren Weg kreuzte, erlegt.
    Bei dem Tod eines Geschöpfes vergoß ich Tränen - und
    ich konnte mich nicht erinnern, jemals zuvor in meinem Leben geweint zu haben. Seit vielen Wochen hatte mein
    Juikabloth nur aus Spaß, oder um nicht aus der Übung zu geraten, Jagd auf Reptilien gemacht, so gut konnte er sich von den Gedärmen der Tiere ernähren, die wir erlegten. Als er nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr jagte und auch nur noch sehr selten flog, sondern lieber, lethargisch auf meiner Schulter, dem Sattelzwiesel oder einem Baumstamm an
    unseren Lagerplätzen sitzen blieb, dachte ich zuerst, er sei nur vollgefressen und faul. Aber dann, eines Tages, tat er etwas sehr Unziemliches, etwas, das er niemals zuvor getan hatte. Während wir ritten, ließ er seinen Kot auf meinen Umhang fallen, und ich bemerkte, daß sein Kot nicht, wie üblich, weiß mit schwarzen Flecken war, sondern
    grünlichgelb.
    Besorgt wandte ich mich an Wyrd. Er hielt den Vogel - der es sich teilnahmslos gefallen ließ - fest, untersuchte ihn eingehend und schüttelte dann den Kopf.
    »Seine Augen sind matt, und die Lider wollen sich nicht mehr öffnen. Das Fleisch um den Schnabel herum ist
    trocken und blaß. Ich fürchte, er leidet an der
    Schweinepest.«
    »Schweinepest? Das ist ein Adler.«
    »Ein Adler, der mit dem ungekochten Gekröse von Ebern
    gefüttert wurde. Manche Schweine sind mit einem Parasiten infiziert, der auf einen anderen Wirt übertragen werden kann.«
    »Wie eine Laus? Ich kämme seine Federn und...«
    »Ne, Junge«, sagte Wyrd mitleidig. »Dieser Parasit ist eine Art Wurm. Er frißt sich von innen nach außen. Er kann einen Menschen töten. Er wird so gut wie sicher diesen Vogel töten. Ich weiß nicht, was man dagegen tun kann. Wir
    können höchstens versuchen, ihm hin und wieder ein wenig anregendes Kastoröl zu verabreichen.«
    Also versuchte er das, und der Juikabloth schluckte das Öl teilnahmslos. Früher hätte er - wählerisch wie er war - etwas so Übelriechendes zurückgewiesen. Ich fuhr fort, dem Vogel Kastoröl einzuflössen, aber ohne sichtbaren Erfolg. Ich entfernte sogar, heimlich, den schweren Kupferdeckel von dem Glasfläschchen, das ich Wyrd weder gezeigt noch
    jemals ihm gegenüber erwähnt hatte, und bot dem Vogel, ohne mich zu schämen, von der wertvollen Milch der
    Jungfrau an. Aber er schaute mich nur halb verächtlich, halb mitleidig aus seinen müden Augen an und lehnte das
    Angebot ab.
    Der Juikabloth wurde immer schwächer, sein einst
    strahlendes und glänzendes, jetzt aber ungepflegtes
    Gefieder wurde stumpf und struppig. Ich warf mir immer und immer wieder, manchmal auch laut, vor:
    »Dieser tapfere Vogel hat mir nur Gutes getan, und ich habe es ihm mit Schaden vergolten. Mein Freund stirbt.«
    »Hör auf zu heulen«, sagte Wyrd. »Der Adler tut es auch nicht, und er würde dich dafür verachten. Junge, jeder von uns muß an irgend etwas sterben. Und ein Greif weiß besser als alle anderen Geschöpfe, daß selbst Raubvögel nicht ewig leben.«
    »Aber es

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